Donnerstag, 10. Februar 2011

Bitter-Schokolade








Klaus Peter Buchheit


Augsburg 2005 / 2006









1.

es weht. licht öffnet sich. man sagt, so sterbe man. aber die blätter drücken aus den knospen. mutter hat dich satt. nach draußen geht’s. es weht u. du wehst mit. du hast es nicht anders gewollt. es heißt, du hattest die wahl. jetzt bin ich da. hört ihr mich? mach endlich den schnitt.


2.

nie unermüdlich. immer kurz vorm einschlafen noch überlegt, tust du es noch oder erinnerst du dich später dran. zumeist dann alles vergessen. du hast tief geschlafen.


3.

ja, kunst. der andere winkte ab. gut, ich merke mir nicht die namen, aber wenn ich etwas sehe, z.b. eine pumpe u. einen langen schlauch, der sich verzweigt, u. die verzweigungen führen wieder in eins zu einem einzigen schlauch, der zur pumpe führt, dann denke ich: so bist du oft. nicht eins u. doch eins. u. wenn du nicht eins bist, läuft die flüssigkeit sehr langsam in dir. das ist zwar schmerzhaft, aber dann lebst du auch länger. ach kunst, winkte der andere ab u. dachte an verzierungen. deshalb kamst du dir unästhetisch vor u. verschwandest durchs klofenster, nicht ohne einen uringeruch angenommen zu haben, wie du meintest.


4.

das ist der zustand, der mit seinem eigenen ende spielt. du drehst eine locke. reißt haare aus. spielst mit den zehen u. riechst am finger. wann, wann die stimme, die sagt, hör auf. u. du wehrtest dich trotzig u. im weitermachen endet der zustand, das spiel mit dir?


5.

du mit deinem hau gehst mir auf die nerven. weil nur du mich verstehst. hau doch ab, mensch!


6.

da, die katze, am abgrund. du wolltest sie hinab treten. sie sprang beiseite. du fielst an ihrer stelle in des nachbarn wilde orchideen. oder waren es brennnesseln?


7.

unendlich, ein leben, gewartet. das eichhörnchen nahm die nüsse von der fensterbank u. neben dem baum lag ein vogeljunges. aus angst schosst du dir in den fuß, du humpeltest wie in einem western u. dachtest an kitty in netztstrümpfen. du schlichst dich an der mutter vorbei ins bett. endlich atmetest du auf u. warst erregt.


8.

sie kniet. am eingang der gasse. das gebiss ließ sie – hektisch klug wie sie war – zu hause. es ist ihr geschäft. jeder braucht ideen. weine nicht. hast du ihr etwa was gegeben? aber du hofftest, jeder habe deine rührung gespürt. ein rumoren unterhalb der fußgängerzone. groß wie dein far-niente. gib dem affen zucker. denn alles ist bitter.



9.

der moslem fresse kein schwein. der moslem fresse uns. dich hab ich, ich altes schwein, gefressen. guten appetit, mein wilder!


10.

wartezeichen. das geschrei des altklugen mädchens. sicherlich aus pädagogischem haushalt. es habe eine soziale tat getan. die tür öffnete sich, frische luft kam mir entgegen. der junge trat kaum zur seite. noch nicht. im briefkasten die zeitung. im flur der griesgram. wartezeichen. wie sturmsignale. das wasser rührt sich nicht. verurteile nur ihr verhalten u. schreib die urteile in den wind. durchs fenster siehst du die nachbarn vor ihren kisten sitzen. starten Sie jetzt den computer neu.


11.

st. sebastian spuckt ein palliativ in deine richtung. ich war das nicht. doch überwältigt von seinen schmerzen interessiere ich ihn nicht mehr. aber ich war das wirklich nicht. ich müsste ihm geradezu morphium spritzen, dass er mich endlich hört. hörst du, vater? ich schlucke die schmerzmittel um zu leben, wie eine suizidäre die schlafmittel um zu sterben. ich habe schmerzen, weil ich nichts spüre. hörst du sebastian, du spürender? warum schreist du mir zu, ich solle mich erinnern? wer bist du überhaupt? es geht vorbei. dort ist niemand.


12.

vater hieß mich stachelbeeren brechen. ich hielt eine in die sonne. probier mal. das konnte ich nicht. der kern glich einem fötus, die beere einer fruchtblase. die natur ist abszön. ich drückte mich vor dem pflücken. quitten hingegen hatten die farbe von haut. ich fasste sie gern an. ihr pelziges. vater, warum hast du mich nicht gehießen, quitten zu brechen?


13.

beim zerdrücken der himbeeren in einem alten geschirrhandtuch färbten sich meine hände so rot wie die von frauen im ritual. vielleicht in indien. vielleicht in afrika. jeder konnte sehen, dass ich initiiert wurde. schließlich war es vater nicht gleichgültig gewesen, auf welcher seite des tisches ich stand.


14.

zu hochnäsig im flur an der jungen dame vorbei gegangen. später hielt die realität nicht, was das symbol versprochen hatte.


15.

überm wald. wie ein ufo. grelles licht. großmutter ängstigt sich mehr als ich.


16.

sie habe die jungen katzen genommen u. im keller ertränkt. zwei fotos von mutter. sie lacht. im hintergrund großmutter, den kopf strafend gewendet. mit strengem blick. warte nur. auch du bist bald dran.



17.

spräche wieder einer in der nacht, lass uns etwas laufen. über den hügel, zwischen den häusern. wie damals. wie du. vater. wieder käme ich mit. in der nacht hatte ich keine angst. nachts laufe ich durch die stadt u. kann nicht nach hause gehen. stundenlang. eine ameise, weit entfernt von ihrem militärstaat ausgesetzt.


18.

falten u. narben. es gab keinen unterschied. winzige brüste wie zwei falten. zwei narben. viel schwarzes haar. damit willst du nichts zu tun haben. ich will deine falten nicht sehen, mutter.


19.

schwester, wisse, deine brüste auf dem bild, dein busch ließen mich schwitzen u. abspritzen. ich trug dabei deiner schwester slip. umflogen von hornissen, vor denen ich nicht fliehen konnte. am dachbalken klebte ihr nest. braun, rund u. groß.


20.

am boden. neben dem gitter eines abflusses. der stein kühlt. im hintergrund redet jemand leise. fauliger geruch von weichem, von schmierigem, von altem haar. du leidest an asthma. bleibst regungslos. du bist ein teil des bodens. des steins. das gespräch hält nicht inne. du bist’s zufrieden. wenn du auch die hosen gestrichen voll hast. du verfolgst die kanäle, die einen haken schlagen nach dem anderen.


21.

latschenfuß, über einen holzstuhl gelehnt. die sonne scheint drauf. sie spreizt die zehen. du wirst zu stein: steinchen, auf tannenwaldboden geworfen.


22.

sie lacht u. verzieht das gesicht, als ob’s was bittres sei. ich sage, ihr vergehe das lachen unterm lachen. deshalb lacht sie. sie hat mich längst im raum entdeckt. nirgends ein fluchtweg. jetzt wird es lustig.


23

du führtest deinen krieg u. schossest allen tulpen die köpfe ab.


24

alles hat seinen platz. links auf der kommode die fischkonserven. im schrank der zucker, auf den regalen die marmelade, im holzverschlag lagen äpfel u. kartoffeln beieinander. du überlegtest, wie man das fenster zerschlagen könnte. du wolltest dich nicht einsperren lassen. auch wenn sich der stein unter den nackten füßen angenehm anfühlte. die wölbung sprach dich an.


25

er missbrauchte eine gurke mit der hand. den matsch streute er über den balkon. saft tropfte über die erde. er aß sein steak ohne salat. ein sommertag.



26

der geimpfte kaktus welkte vor seinen augen dahin. dabei hatte er ihm den eigenen samen eingespritzt. der kleine onkel doktor. der geschorene teddy hing als anschauungsexemplar an der wand. je suis un homme.


27

unter den reißverschlüssen, die titten.


28

staub zu staub, asche zu asche, wasser zu wasser dachte der knabe im bad. er lag mit socken im wasser.


29

ehrst du mich lebenden, der du doch immer schon gestorben bist, vater?


30

rohmaterial. in faulheit hingesaut. ick wildes tier. geschichtslos.


31

der neoliberale wurm, politikergesichtig, sticht die seele. sie ist längst verkauft, wurmstichiges haus. aber hier wirst du mich nicht finden. am offenen kriecht das blinde viech vorbei. dort, schnappt den agilen! er rennt die treppe rauf, nur um hinten runter zu stürzen. dein fresschen. da lachen ja die hühner.


32

alle machen den hasen. doch du bist der igel. wundere dich nicht, dass sie deine stacheln nicht mögen; dich mit ihren autos platt fahren. auch hier bist du vor ihnen da. mein süßer winterschläfer. wer glaubt schon an den osterhasen.


33

angelehnt an den kirschbaum spuckst du kerne aus. auf dem bauch den abdruck ihres schmutzigen fußes. zwei handvoll kirschen hast du dafür bezahlt. noch tragen die bäume frucht. noch sind die wege staubig. noch wisst ihr nicht, was ihr tut. zusammengewachsene stile. v-förmig. wer die frucht verliert, muss auf den baum.


34

sie sieht in den wolken nur wolken. sie ängstigt sich nicht bei dir. du hingegen läufst davon ins blaue.


35

habe dich, bruder, nicht ganz erschlagen. aber du trägst das mal. schließlich hattest du dir gewünscht, ich wäre besser nicht geboren worden. aus trotz nimmst du das essen, das sie für dich kocht, nicht mehr an. trinkst nicht mehr, verleugnest das symbol ihres geschlechts. fliehst den aberglauben. hier verrechnest du dich. wir könnten uns die hand geben. eine zigarette rauchen.


36

sie gießt heißen tee über ihren bauch. schwarztee aus guter ernte. ich gieße frischmilch dazu, damit sie sich nicht verbrenne. jour fixe für eine zeremonie.


37

wie das huhn gackert, entfallen die aggiornamentos deiner vergangenheit aufs fließband der batterie.


38

mit rauer stimme lachtest du, überm waschbecken dich entleerend, den arsch an den beschlagenen spiegel gedrückt. du hattest mir verboten, den raum zu verlassen. du wärest auch das. auch der furz zum schluss. vor der glotze schämtest du dich dann.


39

ihr schlüge auch keiner auf die schulter. kurz schloss ich die augen. einer schlug ihr auf die schuler u. spaltete sie der länge nach. endlich, rief meine chefin, u. ließ sich krank schreiben.


40

an der theke. alle über 40. türken. sie rauchen. sind geschieden. träumen vom normalen leben. normal ist aber: trinken, rauchen, geschieden sein. hier stand ich gern dabei. die heile welt der vororthäuschen mit ihren muttertieren ist mir fremd. dort lauert gefahr. dort zeigen sie mit dem finger. dort kennen sie dich.


41

die lilie im fenster wie andernorts eine kerze.


42

er zerkratzte sein jojo. sie sagte, er sei destruktiv. er kratzte weiterhin die romantischen verzierungen ab. das war seine aufgabe.


43

schnell, in der küche, sie zwischen den beinen geleckt. draußen lärmt eine party. mein kaugummi verklebt sich in ihrem schamhaar. es ist für dich, baby, die ich nie wieder sah.


44

vier knoten im taschentuch. u. doch alles vergessen. du trugst es im wald, vater, beim holzschlagen. beim bäumefällen u. stämmespalten. trugst es auf dem kopf. schwitztest dein leben lang stark. auch im angesicht des todes.


45

das hängt, das schwingt an scheinfäden; das fadenscheint, das fadenmeint, das glamourniert aus radio, tv u. zeitung. zwischendrin ein riss, ein hall, ein echo im cartoon jenseits der lalie. nicht dass du verstündest, aber du zuckst u. weißt, es wurde etwas verstanden. du zuckst wie schnee am ende des winters. keiner weiß, ob krokusse durchstoßen oder nur ein hohlraum droht, in sich zusammen zu fallen. soviel zeit hat keiner, der vorbei kommt. dennoch. deshalb gehen wir vor die tür. einmal werden wir uns treffen. ich sehe dein nicken. unernstes nicken. als habest du einen witz gehört.


46

kein imitat mehr. auch nicht in der suche nach orginalität. auch das kümmert dich nicht mehr. lust auch nicht, als seiest du alleine auf der welt. keine radikalität. entwurzelt u. doch fest gebunden. ach, quatsch nicht wie altkluge mädchen, die wildsein spielen. drück einen negerkuss auf den geschlossenen mund.


47

die waden von linda fiorentino.


48

wie paul newman mit big daddy. paul betrunken. daddy hat schmerzen. es kommt zur aussprache. ein bündnis. ich hingegen, vater, schob dich nur von fenster zu fenster im langen flur des hospizes. ein hin u. her wie in einem postmodernen diskurs, der beschreibt, was aus den fenstern zu sehen ist. der die beiden personen ausspart. wir waren beide postmodern. vater. vermischung von stilen.

wie die beliebigkeit als verdrängung schlechthin. unser gehen ein anything goes. ich ging, du saßest im rollstuhl. doch du gingst. das ist die verdrängte wahrheit. ich laufe immer noch hin u. her. verrückt wie eine postmoderne architektur.


49

die nackten füße von charlize theron.


50

abgeschnittene füße, ausgehöhlt u. braungebrannt, als blumenvasen u. trinkgefäße. das meine kinderphantasie.


51

deutschlands wissenschaft. faksimilierte computerausdrücke.


52

vorm ddr supermarkt ein riesiger stoffmaulwurf. ich höre ein gewaltiges „oh je“, 1000fach verstärkter jammer des kinderserienhelden, als passender kommentar zur lage der nation.


53

der gut aussehende kanzler, der als kanzler ein gutes bild machen wollte, sieht als kanzler nicht mehr gut aus. so wie sein außenminister wieder fett werden musste, damit er, nachdem er einst den langen marsch zu sich selbst absolviert hatte, nicht vor sich davonlaufen kann.


54

weiß, so weiß wird mir vor augen. so weiß wie das papier unter der schrift. so weiß wie das rauschen in der blutbahn. wie schmiere, die die poren verklebt. wie die langen unterhosen meines vaters. immer habe ich mich geweigert, lange unterhosen zu tragen.


55

ob nanking, ob die kzs, ob die schützengräben, ob angola, burundi, ruanda, sierra leone, sudan, ob südamerika oder serbien: die lustvolle verstümmelung, quälung u. tötung des anderen ist das unverständlichste u. selbstverständlichste zugleich. wer sagt, er könne es nicht verstehen, ist fähig dazu. wer sagt, er verstehe es, versteht nichts. schau dich lieber zweimal um. u. wisse, der feind steht oft vor dir u. hinter dir ein freund. mais, on ne sait jamais. u. pass auf, was du tust, du hast immer schon den stock in der hand, den du den anderen in den leib stößt. da hast du’s.


56

bis in die geheimnisse der folter hinein willst du wissen, was für ein tier du bist. du denkst kaum über andres nach, während du versuchst zu arbeiten u. nach menschen ausschau haltest, die reden können. wie das knacken des astes so das verstehende wort. löse nur das koan. vergiss aber nicht, währenddessen den lebensunterhalt zu besorgen. u. vergiss auch nicht: die leben wurden weicher, wie ein moor. ich, darin herumstapfend wie ein entflohener, mache mir schlammpackungen daraus. andere arbeit habe ich zurzeit nicht.


57

slavoj sagst du u. jacques sagst du u. ihre ideen u. systeme u. begriffe u. mathematiken u. intellektualismen. ja, sage ich, lese sie, wenn auch du vor den implikationen der erfahrung davon laufen willst. geh spielen, kleiner. das hier ist nichts für dich. hier besteht ansteckungsgefahr. überwältigungsgefahr. während du spielst, spinnt die spinne dich ein. u. saugt sie dich leer, glaubst du zu genesen.


58

einen moment lang, du wusstest nicht, hattest du geträumt oder war es wirklich, ist es vorbei oder hält es an. dieser moment enthält die religion, an die du glaubst. für einen moment glaubt das kind, das floh, die mutter werde es wirklich nicht zurück pfeifen.


59

siehst du das wiesel, es schaut nach uns, sagt er übermütig. da lief irgendein hund u. der machte, was sein herrchen wollte. aber sie sagt jetzt mal nichts.


60

u. doch: manchmal lächelt jemand einfach so. einfach so wegen dir. dann glaubst du an engel. für diesen augenblick.


61

aktionismus auf dem rathausplatz. man säuft sich die hucke voll. die jugend mit bier. die alten mit kaffee. beide können sich nicht leiden. ich gehöre beiden nicht an. folge den dreckspuren zwischen den tischen hindurch über den platz. ein kahlköpfiger lacht.


62

neu wie der morgen, sagst du. dabei hast du den von gestern längst vergessen. du schraubst u. tüftelst, ein kleiner knabe, an deinem gerät u. bist so stolz, weil es 4664 durch 2332 errechnen kann u. auch sämtliche geheimnisse der welt. mein kleiner beamter, du wirst nichts ändern u. dein gerät auch nicht. du wirst nur zum verwalter der scheiße, die du gestern angerichtet hast u. heute vergessen. du schreist auf u. rufst, nieder mit den kopftüchern, sie stören meine arbeit der welterlösung. während du dich echauffierst, gehe ich auf die toilette die angeschriebenen sprüche lesen. etwas vom abend soll bleiben. ich schüttele nicht den kopf, ich lehne ihn an die wand u. singe leise die angeschriebene telefonnummer vor mich hin.


63

der körper ein meer. sous le silence? warst du je am strand, mon cher?


64

du gingst umwege zum strand. der wind musste von hinten kommen, damit das hemd die konturen deiner rundungen nicht hervorhob. erst im wasser fühltest du dich wohl. treibgut hat keinen besitzer. unzählige versuche, mich anspülen zu lassen. ich ließ nicht locker.


65

auf dem grund des beckens. in regelmäßigen zügen schwimmt sie über dir. die badehose öffnet u. schließt sich wie die kiemen eines rochens. schwarze algen.


66

er hält die arme verschränkt u. presst sie an die linke schulter. das heiße wasser tropft zu boden. ach, hörte es niemals auf. ach, schlössen sich die tropfen zu einem meer. das pathos ließ sich nicht abduschen.


67

ich bin da. hörst du.


68

die gefühle der anderen. du erlaubst dir, sie zu denken, um die eigenen nicht zu fühlen.


69

leben“, mit griechischem akzent gesprochen, dazu ein lachen. ein wellenschlag an deinen bauch. das flaue gefühl, wenn es auf der achterbahn abwärts geht. dafür hast du immer wieder geld aus mutters geldbörse gestohlen.


70

hinterher wie nach durchzechter nacht. arme u. beine schmerzen. letztere wollen nicht mehr so richtig. ein trauerschreck war mir in die glieder gefahren. ein dunkles etwas. ich ließ es in die glieder schießen, sonst hätte ich schreien müssen. vater, was ist da geschehen?


71

nachts vor dem rechner. im internet. du checkst verlockungen. du hast’s fest vor. willst. wirst machen. physische begierden. du wirst nicht zögern, hast das segel hart im wind. dann gehst du schlafen. weil dich vor müdigkeit friert, legst du zwei decken über dich.


72

tout dire. sicherlich. aber wer weiß, was das ganze ist. wer vom ganzen spricht, ist schon auf ein einzelnes hereingefallen. ätschbätsch, verloren. du bist raus.


73

wird je einer oder eine manns genug oder frau genug sein, dein leben darzustellen? du legst ja fleißig falsche spuren, damit die verlockung größer wird. du weißt, dass goethes „bedeutend“ auf dich nicht zutrifft. du bist nur so ein fleischgewordener gedanke, von zeit zu zeit. leider undenkbar, deshalb schon durchdacht. als wollte man mit einem papierschiffchen, auf das alle nautischen gesetze aufgedruckt sind, den atlantik überqueren. während du es zu wasser lässt, schielst du auf die brüste der am strand liegenden frauen. von einigen siehst du das schamhaar. dein schiff hat den ersten meter zurückgelegt. sie werden dich lieben.


74

wenn du, gezwungenermaßen, im gebirge läufst, hoffst du auf die begegnung, die dich an die hand nimmt u. wieder unter menschen führt. du bleibst eine ameise. als kind hattest du, um dir selbst zu entkommen, sie mit einem feuerzeug vom baumstamm geflämmt. deshalb haben sie dir den orientierungssinn genommen. du vernimmst lediglich einen unerklärlichen schmerz, dem du, zuweilen lustvoll, folgen musst.



75

sie durchquert den raum, als wäre sie zu fuß aus ihrem land hierher gelaufen. als hätte es sie nur leicht ermüdet.


76

ihr betrachtet euch beide im spiegel. das lächeln ihrer schönheit. die spiegelverkehrtheit deines blicks.


77

zwei junge frauen. für die eine ist der kapitalismus eine tiefsitzende second-hand-hose, die man schlotternd trägt u. permanent hochzieht, damit man nicht zu viel vom bauch oder vom arschspalt sehe. für die andere, frisch nach deutschland gekommen, ist er das versprechen der marken, endlich modisch top auszusehen. beide seid ihr überlebende. schiffbrüchige. mit der klugheit von ratten. deshalb habt ihr überlebt. leider traumatisiert. ihr habt keine rattenkondition. aber ihr fresst euch nicht auf. das werden wir schon tun. denn die zeiten werden härter.


78

wir schütteln den kopf über unsere halbtote mutte, die im stockdunkeln nachts durch die wohnung fällt u. sich das gesicht blutig u. den rest vom körper grün u. blau schlägt. doch laufen wir anders umher? ja, laufen wir verdammt noch mal anders umher, frage ich blut spuckend u. mit beschissenem schmerz im kopf. wir können nicht auf dem stuhl sitzen, im bett liegen bleiben. noch das herausgerissene froschherz schreit ja nach liebe u. springt dir aus der hand.


79

in der straßenbahn randalieren junge männer verbal. du lutscher, schreien sie sich zu. kopftuch um den schädel gewickelt. ja, man möchte ihnen einen lutscher ins maul stecken. weil du sie erkannt hättest, würden sie dir den schwanz abschneiden u. ins maul stopfen. zumindest im nächsten krieg, auf den sie hoffen. vorerst bleibt aber jeder auf seinem sitz sitzen.


80

es heißt, das paradies unterscheide sich nur minimal vom gegebenen. das nirvana sei nichts anderes als das jetzt selbst. es gäbe nur eine kleine unmerkliche verrückung. die nase werde nicht länger oder kürzer, oder so. die aureolen strahlten nicht wie auf den heiligenbildern. sie sähen nicht aus wie diese neonküchenlampen, die es früher gab u. die auch meine eltern in der küche hatten. auf einer tuschezeichnung picassos – ein kopf, aus einer einzigen, unabgesetzten linie gezeichnet – sieht man die verrückung. ungefähr kurz hinter dem kinn ging ihm die tinte aus. er füllte wohl die feder auf u. setzte dort an, wo er aufgehört hatte. eine dünner gewordene linie fährt kräftig fort. jeder andere hätte von vorne begonnen, um der reinheit der kunst willen, wegen der idee, die dahinter stecke, aus formwillen u. was weiß ich. nicht so picasso. in dieser kleinen verrücktheit der tuschezeichnung aus einem unabgesetzten strich blüht die aureole. das paradies ist nichts besonderes. das nirvana ist nicht etwas spezielles. vergessen wir also getrost das gerede vom paradies oder vom nirvana. machen wir einfach weiter. also komm geliebte. zier dich doch nicht so.


81

sie ist stark. keine memme wie ich. noch harmoniert sie mit ihrem freund, ihrem neuen lebenspartner. sie wohnen jetzt zusammen. auf dem tisch stehen blumen. sie hört sich seine vorschläge für ein gesundes essen noch willig an. wenn er joggt, ruft er kurz vor dem ende seiner runde an, damit sie ihm ein bad einlasse. ja, mein geliebter schatz. wie gesagt, sie ist keine memme. vielleicht braucht sie keine 6 jahre, um dieser hölle zu entfliehen. vielleicht schafft sie es in 3. irgendwann springt der löwe nicht mehr durch den brennenden reifen. er legt sich hin u. wartet. aber wisse, noch hat er die kraft, dich mit einem einzigen hieb in stücke zu reißen. deshalb seine angst. deshalb sein warten. sein hinlegen. sein verharren. seine agonie. zum glück war die vorstellung, ein löwe zu sein, nur prahlerei. zum glück, du mein wildes tier.


82

zweifelsohne, denke ich, geht es hier auch um mich. ich bin hier.


83

immer in der zeit geplagt von bissen. es juckt mich am bauch, am kopf, am rücken u. in den gedanken. auch in der seele. die bücher nichts als kratzer. vielleicht ist es eine allergie u. man darf nicht kratzen. meine seele blutet. u. doch glaube ich, die bücher sind zinksalbe, sie tun gut. noch besser tätest du, liebste. beiß mich in die lippe, dass ich uns spüre.


84

lauf nicht weg. reg dich nicht auf. bleib ruhig u. sag mir mit kräftiger stimme, damit ich auch gut höre, deine intimsten geheimnisse. hier sind sie gut aufgehoben.


85

die welt, die welt, ach die welt, die interessiert sich nicht mehr für dichtung. u. wenn doch, dann nur dafür, ob sie sich gut verkauft. u. bittschön keine wahrheit. die produzieren höhere werbung. da laufe ich lieber durch den wald u. brülle sonntagsspaziergänger an oder esse zumindest eine wurst am kiosk.


86

wenn dein freund, liebste, in meine stadt käme, dein freund mit dem schrecklichen deutschen namen, ich würde die erde unter starkstrom setzen, damit er spüre, das ist meine stadt. u. so wäre die erde vorgewärmt für deinen besuch. du sollst dir bei mir keine kalten füße holen.


87

mein bester freund? von wegen! ich wär froh, er ließe mich in ruhe. ein vulkan? ach was, ab u. zu kriegt er sein fresschen, damit er auch mal spucken kann.


88

ein schwan schwimmt an den resten einer eisschicht vorbei. ich fühle angst. er könnte sich ja an der scharfen kante den leib aufritzen. aber zum glück passiert nichts. nur 2 junge türken toben u. schreien. einer warf einen plastikbecher in den see, der andere nahm ihn fest u. trug den schreienden gefangenen – was machen Sie mit mir? was haben Sie vor mit mir – vom see weg. ich werde Sie vor die mülltonne stellen u. mit müll beschmeißen.


89

die gedanken müssen nach vorne fließen, um in der vergangenheit ankommen zu können. andernfalls wirst du dich nicht erinnern.


90

der wirt redet von goethebüchnerkleist&co u. er redet von derridaadornobenjamin&co u. ihr stammelt ein paar sätze u. dir zerfließt der sinn wie pisse unterhalb des baums, an den du pinkelst.


91

komm, lass uns spinat kaufen. u. eier. u. kartoffeln. u. dann essen wir, wie unsere großeltern es uns zeigten, als sei die gute alte zeit da, damals als wir noch nicht denken konnten.


92

macht kaputt, was euch kaputt macht“ u. schumpeters creative destruction sind nicht weit auseinander. sie sind sogar identisch. hippies, die spießig geworden sind, weil sie es schon immer waren, u. die immer nur ihren eigenen schuldgefühlen davon u. ihrem größenwahn hinterher gelaufen sind, sind an die macht gekommen. aber sie machen die gleiche scheiße: sie zerschlagen alles, nennen es jetzt nur: rationalisieren. irgendwann werden sie merken, dass sie nur dem eigenen suizid davon gelaufen sind, zweifelsohne wenn der insolvenzverwalter vor der tür steht. sie wollen eben nicht kreativ sein. gut gebrüllt, hegelsche hauskatze.


93

sie wollten die maud. ich hatte aber nur leere taschen. ich hatte gedacht, ich würde auf einer nebenstraße laufen. nein, sagten sie, es wüssten wenige, doch das hier sei die autobahn. aber es stünden keine schilder da, wehrte ich mich. die brauche es nicht. jeder könne sehen, wohin die straße führe. außerdem wisse es jeder. ich wehrte mich weiterhin. ich hätte niemanden gesehen. ja, die seien entweder alle schon am ziel oder weit hinter mir geblieben. hätte ich mich an die geschwindigkeitsgebote gehalten, hätte ich sie sehen können. so aber müsse ich doppelt strafe zahlen. sie lachten, sagten, sie kämen wieder auf mich zu, u. verschwanden. ich setzte mich erstmal an den wegesrand u. rauchte eine. dann lief ich weiter. die sonne stand hoch.


94

roter mantel. schwarze haare. schuhe mit spitzen absätzen. in der hand ein kopiertes „handbuch der interkulturellen germanistik“. mit diesem engel im zug werden die räder in ihren gleisen bleiben.


95

die risse im verputz erscheinen dir als gesicht. die risse u. abblätterungen schauen dich an u. lachen dir zu. ich stimme mit ein.


96

unterwegs. warum fürchtest du dich davor? es ist doch dein einziger wunsch. unterwegs sein. d.h. werden. nur weil werden bedeutet: zu nichts werden, d.h. dass du nichts wirst? d.h. aber: es wird.


97

ich bin nicht abergläubig, aber eine locke deines schamhaares würde ich nehmen.


98

ihr lauft durch eine kiesgrube u. werft steine vor euch her, als steinigtet ihr eure zukunft oder vergangenheit. oder doch die gegenwart. moralisten schreiben so.


99

auch das beharren auf den status quo ist eine regression. der in der luft stillstehende kollibri verzeifelt an seiner schönen blüte.


100

der blinde mann wird von einer antigone durch den raum geführt. er ist groß u. dick u. cool. ich höre ihn auf die frage, wie es ihm gehe, antworten: wenn es besser ginge, wäre das leben nicht zu ertragen.


101

in deinem roten sommerkleidchen standest du im park u. spieltest mit dem nackten fuß in einer pfütze. die arme hieltest du verschränkt. du schautest deinem großen zeh zu, wie er wellen verursachte.


102

wir sind im regen nach haus gerannt. du zogst die nassen kleider aus u. warfst dich aufs bett. lagst auf dem bauch, den oberkörper mit den händen hochgestützt. am unteren ende deines rückens sammelte sich wasser. es tropfte aus deinen haaren. drumherum bildete sich eine leichte gänsehaut.


103

du küsstest meinen hals. ich hätte dich auch von meinem blut trinken lassen.


104

das drei oder vierjährige mädchen trug eine lustige grüne mütze. selbstbewusst setzte es sich im bus auf den einzigen freien sitz. spitzbübig fragte die mutter, ob es sich auf ihren schoß setzen möchte. klar u. deutlich antwortete das mädchen mit nein.


105

sie schlug die beine übereinander. strich den rock glatt u. schaute fragend. der fuß wippte im takt des uhrschlags.


106

im nachthemd setzte sie sich zu dir. am abend zuvor hatte sie gesagt, dass sie nicht wolle, dass jemand sie im nachthemd sehe. ich traute mich nicht sie anzufassen. als ich von meiner matraze, meinem gästebett, aufstand, zertrat ich meine brille.


107

rauchend, nervös, mit dem leben unzufrieden, immer wieder alltagslähmungen verfallend, seit jahren allein, obwohl stets von einem mann träumend, behauptet sie, sie habe sich von der mutter gelöst. ich sage, alle deine liebe gehört noch ihr. wenig bleibt für dich, nichts für einen mann. u. diese liebe braucht viel nahrung. u. du, bruder, dir geht es nicht anders. u. manchmal stehe auch ich nachts vor dem kühlschrank.


108

sie schrieb eine sms: schlaf süß. du hattest keine schwierigkeiten einzuschlafen. auch schliefest du traumlos.


109

wichtig ist nicht die augenblickliche illusion von macht u. erfüllung, sondern wichtig ist das, was bleibt u. wirkt u. sich einlöst.


110

mache lieber den clown als den moralisten oder den besserwisserischen zyniker. lieber spritze ich durch eine blume ein bisschen wasser in die gegend, als dass ich aller welt sage, was in ist oder out. siehst du meine blumen. tritt näher. du darfst sie guten gewissens anfassen.


111

du hältst es für geschwätz. es mache dich krank. andere antworten darauf.


112

wer fragt, bekommt falsche antworten.


113

wer nicht antwortet – auf worte, nicht auf fragen, nur auf worte lässt sich antworten –; wer also nicht antwortet, sondern zurechtweist oder fragt, erzeugt hass u. trotz u. kopfschmerz.


114

wer die familie über alles stellt, der verleugnet den menschen; die freundschaft; die gesellschaft. wer die familie über alles stellt, dem traue nicht, er wird dich nie als menschen anerkennen. der vertreidigt nur seine kinder als den eigenen größenwahn. wer die familie über alles stellt, der nimmt seinen kindern – ihre familie.


115

wie riecht der tod? wie altes blut? wie ein verklebter teppich? wie fettiges haar? wie haut u. knochen? wie ein schimmeliges brötchen im schrank? wie verwirrung? wie die drohung der pflegestation? wie die tränen beim familienfest, die keiner bemerkt? wie die verzweiflung darüber, dass das leben vorbei ist? wie der neid auf die jugend? wie der hass auf ein falsches leben? wie die ratlosigkeit der kinder? wie die oberflächlichkeit des eigenen wissens? wie die geschminkten lippen der 12 jahre älteren freundin? wie die gehässigen worte, dass sie keine freundin habe? wie du, mutter?


116

das kind setzt sich dazu u. will ernst genommen werden. es fällt ihm schwer, sich auf die albernheiten der erwachsenen, die mit ihm spielen wollen, einzulassen.


117

die kleine verrückung zum paradies, zum nirvana, sie ist auch nicht größer zur hölle. auch da verändert sich nichts. die verrückung entsteht, indem die alltägliche verrückung verweigert wird. es bleibt alles, wie es ist. es hat sich ja gar nichts verändert. alles verharrt. wir verharren. wir verhoffen. wir warten. wir versteinern. während sie verknöchert.


118

die unterarme des bruders schienen männlicher geworden. er trägt jetzt verantwortung. trage sie, bruder. wir ertragen solange das leben.


119

das bein der frau lag auf dem heizkörper. einge jeans. schwarze stiefel mit absatz.



120

mit großen augen schaut sie dich an. bist du ihr narr oder bist du ihr held? du möchtest ihr einen kuss geben, aber du musst leider weiter reden, sonst bist du weder mehr ihr narr noch ihr held.


121

wenn ich sie fragen würde, fühlst du dich unbehaglich im leben, würde sie entgegen fragen: welches leben? u. würde verbittert schauen. wir fragen aber nicht, beide nicht, aber sie schaut trotzdem verbittert. oder weint. was auch keiner mehr sehen kann. u. schweigt. dann, plötzlich, eine anklage. bitter u. böse. u. alle schweigen betroffen. u. wehren sich dann. wütend. bis alle wieder schweigen u. in unterschiedliche richtungen davon fahren. teilweise betrunken.


123

bei familientreffen merkt man, dass es doch sippenhaft gibt, u. man beneidet den hund, der nicht ins haus darf. der seine schnauze auf dem warmen asphalt wärmt.


124

ich habe keine aussage. wenn ich glück habe, habe ich überhaupt etwas zu sagen. also habe ich aber etwas zu sagen. aber keine aussage. auch keine sage. nur etwas zu sagen.


125

du hältst die unterforderung kaum aus. schwer ist es für den schwimmer, nur gelegentlich eine badewanne zur verfügung zu haben. keiner sieht die rekorde, die du darin aufstellst.


126

bist du auch ein barbar? nein, zuviel. nemo? Zuviel. du tauchst unter in worten. du hast keinen namen. nur worte. ein paar.


127

eine wade, eine weiße, rasierte wade, im bus gesehen, ein stück fleisch zwischen stiefel u. saum. u. wieder bringst du dich in diesem moment nicht um.


128

es würgt dich. ein hundehalsband. du gäbst schon viel, wenn du wüsstest, wer dich da am gängelband führt. du wärest mintunter bereit, loyal zu sein. ich könnte dich führen. vielleicht bist du ja blind u. siehst nicht, was du mir antust.


129

staubflocken im eck. natürlich, du könntest den staubsauger nehmen u. in wenigen minuten wäre alles wieder sauber. aber du weißt nicht, ob du das darfst.


130

darf ich sagen: ich liebe dich? würde es dich nicht auslöschen, zumindest verneinen?


131

nach einer weißen nacht sagt sie dir, jetzt sind wir aber zusammen. es ist doch schon tag, denkst du.


132

meine lippen passen wunderbar in deine rasierte achsel. jetzt lass mir dein achselhaar in den mund wachsen.


133

ich fühle druck im kopf. dieser ort bietet keine erdung. man läuft hier, als sei das laufen nur ein hobby. etwas für nebenher. du hast aber nichts, das ein nebenher erlauben würde. du läufst. das ist alles.


134

klemm mich zwischen deine schulterblätter. ich werde deine flügel sein u. zugleich schwer genug, damit du nicht sinnlos abhebst.


135

kannst du nicht einfach von dir erzählen? in einer abschweifung?


136

lebenstaten kannst du nur vollbringen, wenn du auch zum sterben bereit bist. alles andere ist hinauszögerung. ich, der ich zögere, weiß wovon ich spreche.


137

ich könnte erröten beim anblick deines kinns.


138

ich bin böse, um dein trotzdem zu hören.


139

er pisste den lilienkelch voll. als die blume sich verneigen wollte, rannte er erschreckt davon.


140

mach es dir mit den fingern. u. dann lasse sie mich ablecken. so hast du mich schließlich all die jahre genährt.


141

weil du dich nicht auf meine brust setzt, tun das dämonen in der nacht. doch die geister wiegen zu wenig, sie sind alle magersüchtig.


142

manchmal blute ich aus dem bauchnabel. nur weil du nichts sehen kannst, willst du mir keinen glauben schenken, aber ich blute manchmal aus dem bauchnabel.


143

du könntest deinen kopf auf meinen bauch legen. dann würdest du hören, wie ich deine liebe verdaue. wie ich fett davon werde.


144

wenn das wasser knapp wird, kann auch nichts mehr den bach runter gehen.


145

nein, mein fleisch esse ich nicht; nein, mein fleisch esse ich nicht, ruft die frau u. hält das panier des vegetariertums hoch u. vergisst, dass sie während ihrer tage lust auf dich hatte. du kamst aber nicht.


146

bruder, du willst mich, den jüngeren, töten? aber rache ist süß. dich straft dein gestus ewiger moralität. du bist es, der die geste machen möchte. die heldentat. das beseitigen. ich muss zum glück kein held sein. dafür danke ich dir. das ist aber auch schon alles. geh hin u. lebe deine moral. siehst du, ich, ich wünsche dir nicht den tod.


147

seelen-poesie-fläschchen (spf). du produzierst spfs. man setzt sie an die lippen wie magenbitter. vielleicht brennt der inhalt im hals. aber die wirkung entfaltet sich im magen, manchmal auch im geschlecht.


148

missbrauche mich! mach es dir mit mir! dann wird mir warm. reibe dich, frau, an mir!


149

nackt stehst du im bad vor dem spiegel. die scheiben sind beschlagen.


150

lass uns von der schönheit deiner pflaume reden. hagebuttenfarben. wie ein in der regenzeit mit dem nackten fuß in afrikanische erde gezogener graben. ich kam aus der wüste.


151

denk nach! wir wurden uns schon einmal vorgestellt.


152

du bist so anständig. kannst du den anstand nicht vergessen u. mit mir pferde stehlen? oder wir küssen uns zumindest? oder sagen geheimnisse? hier sage ich dir meine.


153

dir ist kalt? du willst gewärmt werden? ich verstehe schon. ich bin aber nicht deine heizung. erst wenn du mich annimmst, wirst du auch meine wärme spüren. in dir. ansonsten heißt’s nur, was du sagst: erdrück mich. ich soll dein richter sein. dir die wärme der erde bringen, in der man endgültig liegt. jetzt friert es mich auch.


154

las nicht erscheinung, las erschleimung. ja, ich schleime mich ein. du ekelst dich? dann sage ich eben: ich werde feucht. werde geil. will dich. du.


155

miesmacherei ist die waffe derer, die sich künstlich in sich gefangen halten. sie sind noch nicht einmal zu wirklich aggressiver kritik fähig. sie können nicht die sau rauslassen. selbst ihre wut u. ihr geschrei ist verhalten. noch da ist es eher ein sog wie bei einem vakuum als eine explosion nach außen hin. sie nehmen dir die luft.


156

natürlich kam es, wie es kommen musste. natürlich. man hatte sich ja tot gestellt. das ist es doch, was natürlich besagt. was ihr wollt. man soll sich tot stellen u. mechanisch funktionieren. natürlich.


157

wirtshauswild u. barblumig u. thekenlaunig, ein tümmler in sätzen u. versatzstücken. jedes getue der wörter nervt, aber tun sie es dir an, fließt blut anstelle von neurotransmittern u. bildet lebensgerinsel, vitathrombosen. mag sein, sie schmerzen, doch ein paar bier lindern u. machen das blut dünn.


158

ach, frieden, schreien sie. ich wünschte, du griffest mich an u. es gäbe augenniederschläge. zuerst schauer, dann heiter. aber traue keinem bericht.


159

frieda, wie frieda sah sie aus. ich sah ihren fuß. sie drückte ihn an die wade. flamingo im weißen kleid. später lachte sie derb mit den jägern, den feisten. sie verdeckten ihr bein. ich sah nur das kaugummi im mund, es fiel von einer backe in die andere. dann wurde es spät.


160

er redete vom frieden, doch seine lippe klappte herab wie die eines lügners. als habe seine rede lepra.


161

du bist es bisher nicht geworden, weil du werden wolltest wie. sie hatten nie werden wollen wie. aber sie haben dich infiziert u. dein autoimmunsystem wird infiltriert. könnte es getauscht werden wie blut! so wirst du, nicht wie, nur irgendwie. aber es wird. auch wenn das immunsystem durchknallt. siehst du die funken aus der sicherung sprühen. das hätte ich werden sollen u. werde es auch irgendwie. aber nicht so wie.


162

jahre hatte ich nichts von ihr gehört. ich fragte nach. wie es ihr ginge. ob ich denn nicht gehört hätte. ob mir denn niemand bescheid gegeben hätte. es sei doch jetzt schon drei jahre her. ich wusste von nichts. nur dass ich sie gerne wieder sehen würde. das habe doch damals die runde gemacht. ja, was denn? na, sie sei doch in den wald gegangen. habe aus einer tierarztpraxis spritze u. einschläferungsmittel mitgenommen. habe sich unter einen baum gesessen u. habe sich dann die spritze gesetzt. sie hatte sich eingeschläfert, wie man einen hund einschläfert. damals, vor 10 jahren warst du zu mir gekommen. ich hatte dir das ok für etwas gegeben, für einen ausbruch. u. jetzt? u. jetzt lässt mich dieses bild nicht mehr los. ich sehe dich jeden tag unter dem baum sitzen u. mir zulachen, wenn ich nicht schlafen kann. dann bewegst du die lippen, aber ich kann die worte nicht verstehen.


163

er, der durchtrainierte sportler, winkte in der tür u. rief dir nach einem turbulenten hochtourigen liebes- u. alkoholhaltigen wochenende zu, du sollest auf dich aufpassen, sonst machtest du es nicht mehr lange. wenige wochen später brach er auf einer party vor seinem wagen zusammen, nicht weit von seinem haus am see, seinem boot, seinem motorrad, seinen netten kollegen u. seiner wunderschönen italienischen freundin, die er bald heiraten wollte. klassischer speedball. koks. speed. alkohol. tabletten. du willst es bis heute nicht wahrhaben. er war doch all das, was du nicht warst oder hattest. vielleicht lebst du deshalb heute immer noch, ohne haus, ohne boot, ohne motorrad u. ohne wunderschöne frau. u. leider ohne diesen verdammt guten freund. du lebst, wie wenn du nicht lebtest. in angst, im moment des glücks zu sterben.


164

wo du schriebest? wie du schriebest? er schreibe am teich, wo die rentner sitzen. nietzsche schrieb beim gehen u. warf flaubert den sitzenden modus vor. der moderne schreiber schreibe am pc. u. du? im sitzen, beim gehen, unter der dusche, in der badewanne, beim einkaufen, beim lesen. dir kommen einfälle, wie andere anfälle bekommen. das ist dann der fall. deine welt. die hoffnung, etwas aus den einfällen, deinen anfällen, machen zu können.


165

sie fährt rad. am ufer entlang. der rock weht ums knie. sie trägt rote riemchenschuhe. sie hat es nicht eilig. gut so.


166

sag, magst du düstere mädchen, die aus ihrem underdog-dasein die legitimation ableiten, die welt zu verachten? jetzt verstehe ich, dass du ständig von freiheit redest.


167

ich rede dich an, weil du ein mensch bist. ich weiß kaum, wie menschen sprechen. aber wie spricht ein stein oder ein gott? verbalsodomie liegt mir nicht. obwohl ich keiner schandtat abgeneigt bin. on verra.


168

bruder, hattest du bemerkt, was ich tat, damals, unter der bettdecke? ich legte hand an mich. nahm mich in die hand. es war gut. nur habe ich mein leben lang vergessen, die bettdecke beiseite zu legen. ich lebe darunter. also psst. keiner darf merken, was ich da tue.


169

lege deine brust in meine hand. stille sie. es dürstet sie nach dir. sei meine muse. lass dich berühren. ich werde dich nie vergessen, wer immer du auch bist.



170

fick mich mit deinem finger, frau. auch in mir sind dinge, auf die du zeigen musst.


171

bär liebt sonnenanbeterin. er ist devot. trottet hinterher. sein fell dünnt aus. sie leidet mit erhobenem haupt. sie schaut ihn nicht an. er träumt. er tritt sie platt in einem solchen achtsamen moment.


172

ich kenne diesen mann doch nicht. sie habe in pisse gemacht. sie ist betrunken. sie hat mich gemeint. aus dem schlitz ihres kleides fällt ein langes bein. ihr gesicht hat den zenit bereits überschritten. deshalb wird es schön.


173

denken hält jung? ja, wer viel denkt, wird wieder zum kind u. wenn er pech hat, kindisch.


174

gedichte sind wie unnahbare frauen. nur für sich selbst da. also missbrauche sie nicht!


175

morgens schleppende stimme. hat sie dich am abend gut getragen?



176

du bist gern auf diesem platz? weil er dich spüren lässt: du musst nicht platz machen?


177

staubige, geschwärzte frauenfüße in flip-flops. ein fuß auf dem boden, der andere hängt neben dem schienbein in der luft. der rock ist im sitzen hochgerutscht. sie kratzt sich am oberschenkel, fast schon am po. dann stellt sie beide füße auf den boden. sitzt breitbeinig da. fast habe ich den eindruck, sie möchte ausspucken u. sich zwischen den beinen kratzen. dann baumelt der andere fuß in der luft. ballen u. ferse gänzlich schwarz. deine erregung hält an. ihr lachen verklingt wie ein flugzeug, das du schon nicht mehr sehen kannst.


178

was willst du nur hören? mein repertoire umfasst noch ein zwei stücke mehr.


179

zur unzugehörigkeit gehört die ungehörigkeit u. endlich die unerhörtheit. du wurdest ungehörig, endlich unerhört. hörst du? hör doch!


180

immer nur diese zwei hautfalten zwischen den zwei beinen. dieses nichts, das alles bedeutet. dir zumindest. die öffnung zur hörigkeit hin.



181

lebe dich aus, mach mit, sagte die pseudobefreite performancenonne. wenn ich mich auslebe, dann krieche ich unter den rock jener passantin, die ihn so luftig französisch trägt, u. knabbere an ihrem schamhaar, bis sie meinen kopf handfest an sich presst.


182

am morgen nach dem erwachen blickst du unter die decke. staketenzäune findest du in deiner unterhose. sie wachsen quer über die matraze u. weisen dir einen kleinen raum des zimmers als refugium zu. du hörst die aufforderung, deine zunge in farbe zu tunken u. den zaun zu schwärzen. so verbrachtest du viele jahre, fandest freude an der arbeit, bis du den raum verlassen musstest u. es hieß, du werdest nicht mehr gebraucht u. staketenzäune ebenso nicht mehr. gehe u. mache etwas anständiges. weil du begriffsstutzig warst, brachen sie eine latte aus dem zaun u. schlugen dich damit. also gingst du. seither tut dir öfters was weh. u. manchmal hast du noch den geschmack der farbe im mund.


183

sie verarschen dich u. du glaubst gar noch, du habest es verdient, da du dir gewiss bist, bei ihnen nicht an deinem richtigen ort zu sein.


184

mit ihr wolltest du beweisen, dass sartres „die hölle sind die anderen“ nicht stimmt. du lerntest an ihr die hölle kennen. u. dennoch stimmt sartres sentenz nicht. sie war nicht die andere(n).


185

gute texte haben die strahlkraft des schwarzlichtes. sie machen den staub auf deinem leben sichtbar, die spuren des erfahrenen.


186

meine worte laufen barfuß übers papier, sie fühlen die oberfläche, die dichte u. die temperatur. in strümpfen u. schuhen schwitzen sie u. beginnen zu stinken. sie sind deshalb nur selten brauchbar für feierliche anlässe. nur manchmal haben sie lust auf edele handgemachte schuhe.


187

obwohl oder weil stadtbewohner gaffe ich auf den laib brot, möchte löcher hinein bohren u. ähren säen, als wäre ich ganz rustikal u. von gestern. doch dann kaufe ich ein sandwich u. sage was ganz modernes vor mich hin wie … ach ihr wisst schon.


188

mitunter ist der sex nichts weiter als ein surrogat von zorn u. hass. je mehr man den sex forciert, umso mehr hemmt man die beiden letzteren. im grunde ist man ein verklemmtes schwein. je geiler man freilich den sex auch inszenieren mag, ob romantisch oder barock, umso mehr nimmt man ihm seine geilheit. er verkommt zur sucht, zum ersatz. zorn u. hass richten sich gegen einen selbst u. werden verkümmert u. liebeskostümiert abgeleitet. derart steigern sie sich lediglich – in ihrer gehemmtheit. man wird nie ans ziel seiner wünsche kommen, auch nicht der hehren. der andere soll in seinem begehren leiden. leider wird er das nie so sehr, wie man selbst es in seiner zornesverklemmtheit u. in seiner totalen abhängigkeit vom anderen tut, mag der auch legion sein u. hat man selbst legionen davon in die wüste geschickt. glaube mir, ich weiß wovon ich spreche. u. nimm gefälligst wieder mein ding in den mund, du dumme sau.


189

wenn man den stier nicht bei den hörnern packt u. nur so lieblich mit einem tüchlein hin u. her wedelt u. so tut, als gäbe es den stier nicht, aber man will dennoch das excitement einer tauromachie, die man allerdings vergeistigt zu haben glaubt, ja dann, dann kann es passieren, dass der stier dich umrennt, oder dass er schon lange zur schlachtbank geführt wurde u. längst eingedost ist. im letzteren fall eignest du dich noch nicht mal mehr als dosenpolierer. dann musst du als rohkostfresser, der sich vorsichtshalber doch alles abkocht, verrecken. also schnäuze dich lieber mit deinem tüchlein u. dann packe den stier bei den hörnern. oder noch besser: gehe gleich zu der, die du liebst.


190

in seiner dialektalen Leseweise steckt mehr leben, ergo kunst, als in dem vorgelesenen. jetzt fangt aber um herrgottswillen nicht alle an, dialektal zu werden. bei manchen reicht es schon, wenn sie einfach die fresse halten u. die infantlilisierungen nicht vorantreiben. ach wären sie doch ein infans. wenn du geschwiegen hättest, wärest du kindlich geblieben. wo wurdest du kindisch, du alterskluger depp mit deiner tyrannei des lieblichen.


191

die depressiven russenfressen könnten einen glatt an die russische seele glauben lassen, nämlich weil sie sie verloren hätten. doch die gründe liegen glücklicherweise woanders.


192

liebe kennt als alternative nur nicht-liebe. wer liebt u. bei der kleinsten enttäuschung verschwiegener anliegen – was für ein wort – ersatzobjekte der begierde in petto hat, der liebt nicht, der will nur haben. es bleibt das alte nina hagen wort: wenn du scharf bist, musst du rangehen. wer das nicht beherzigt, ist selbst dran schuld, wenn die angeblich angebetete einem anderen die beine öffnet. komme dann mit deinem jammer nicht zu mir, selbst mit dem lyrisch verbrämten nicht. daraus können nämlich nur schlechte gedichte entstanden sein. denn du gehst mit der lyrik nicht anders um als mit der angeblich angebeteten. du liebst sie nicht wirklich, du willst nur erhört werden, statt gehört. du willst keine antwort, du willst unterwerfung. gedichte zumindest sind das, was sich nie unterwirft.



193

das, was man fürchtet, insgeheim begehrt, hat meinem denken oft die richtige richtung gegeben – u. hat meine gedanken oft gehörig verwirrt. doch dann denke ich, so werden sie ungehörig – u. das gehört sich für einen wie mich, der das eingerichtetsein fürchtet u. der begehrt, ausgerichtet auf die welt zu sein. aber wenn man die grundregel anwendet, ja dann geht’s schon wieder los. gut so.


194

der neid, wenn du hörst, sie können dies u. das. sie können sprachen. sie könnten das sprachengewirr eines pound entwirren (aber sie würden ihn doch nie lesen, da für sie sprache nur eine art quiz ist oder eine memorierungsleistung, so wie andere hunderte von stellen hinterm komma der zahl pi auswendig lernen). dann weißt du, dir ist der mensch lieber, der vielleicht nur wenige worte kennt, vielleicht sogar nur vier, der aber damit sprechen kann, auch wenn er gar nichts sagt. ohne doch zu vergessen: il nemico è l’ignoranza. faselt mir nicht vom kosmos oder der kraft der steine. schaut lieber nach, was man wissen kann. das hilft schon ein bisschen. so denke ich, dass vokabeln kein wissen sind. denn jedes wort will erfahren sein. von diesem standpunkt aus spreche ich noch nicht mal die eigene sprache. ich habe so was gar nicht. ich beginne erst zu lernen. ich suche erst die mutter noch, die sie mich sprechen lehrt. ich schreie noch wie ein kind. ich bin noch gar nicht geboren. du weißt noch nichts von mir. il nemico è l’ignoranza, mein freund.


195

sie wartet auf 18 uhr. dann gebe es valium u. lexotanil. dann könne sie sich ins bett legen. der tag sei durchs essen strukturiert. keine interessen mehr. außer vielleicht: inkontinenz tunlichst vermeiden. dennoch sei es ihr passiert. ansonsten gleichgültigkeit gepaart mit dem gedanken, vom leben betrogen worden zu sein. manchmal kann ich das weinen darüber nicht unterdrücken. manchmal denke ich: u. was hast du eigentlich mit dem leben gemacht, mutter?


196

manchmal willst du ausbrechen, fliehen, um den sicheren weg zu gehen. dabei vergisst du, dass ausbruch u. flucht nie sicher sind. dann machst du beruhigt weiter. du hättest dich nicht aufregen müssen. aber du brauchst die aufregung. sonst kommst du nicht weiter, sonst brichst du tatsächlich noch aus u. fliehst. u. dann wird wirklich alles umsonst gewesen sein. es wäre der schlimmste anzunehmende fall, das ist sicher.


197

wie geht es dir? gut. oder geht schon. aber niemals die wahrheit. die darf keiner wissen. sie hinge dir sofort als makel im gesicht. dass du stets so traurig warst, dass du am liebsten nicht habest leben wollen. nur aus feigheit vor der konsequenz hast du die anderen gebraucht. dafür musstest du glücklich u unabhängig erscheinen. so durfte ich dir auch nie sagen, dass ich dich liebe, ich sagte es stets den falschen. die waren gerade gut genug für ein solches spiel. aber was soll’s. du willst wissen, wie es mir geht: gut, sagte ich doch, manchmal vielleicht: geht schon. aber ansonsten keine sorge. u. keine angst, ich liebe dich nicht.


198

geschieden soll es sein u. nicht mehr das eine gegen das andere kämpfen, dann wären sie eins, so heißt es: dein inneres. so gehören die axt u. das holz zusammen, aber nicht nur als stil u. klinge oder als spaltendes u. gespaltetes, als wort u. ding. es ist das nicht zu verstehen. es ist zu tun. selbst das ist zuviel. es möge geschehen. aber geschieht es auch?


199

du hältst fest am willen, fort zu kommen, u. hätst dich so zurück u. behältst die möglichkeit, fort zu kommen. aber letztlich musst du doch einmal los u. gehen.


200

das schweigen bei sex-szenen im film, der raum wie gefüllt von einer person, die nie hatte, was sie begehrte. vor allem da noch liebe im spiel war. unglückliche versteht sich. im film natürlich.


201

nachts spät, es regnet, ziehst du die schuhe aus u. läufst über den nassen asphalt, als ob du ein verbrechen begingest. du schämtest dich, sähen sie dich. u. doch soll es jeder wissen.


202

beim hereinkommen legte sie kurz ihre hand auf deine schulter. du warst entzückt, überrascht, erschrocken. außerdem hast du sie mit einer anderen verwechselt. jetzt wirst du sie nie mehr vergessen. u. je darauf hoffen, die berührung könne sich wiederholen u. du wärest noch einmal entzückt, überrascht, erschrocken.


203

sie weinte, als sie in deinen texten blätterte. auf deine frage, warum sie weine, antwortete sie nicht. auch nicht, ob es ein schöner oder ein böser text gewesen sei, der sie zum weinen gebracht habe. später fragte sie, ob es dir schmeichele, dass sie geweint habe. jetzt wolltest du nicht mehr antworten. so blieb das, was euch verband, auch weiterhin ungenannt. im trennenden entsteht die unmöglichkeit, auseinander zu gehen oder eine echte bindung zu finden. aber auch diese worte kamen dir abgestanden vor. also fuhrst du fort, neue texte zu schreiben.


204

im sozialen hast du dich verdingt, nur um es dir leisten zu können, ein paar stunden asozial, i.e. für dich zu sein. bekommst du diese paar stunden nicht, findest du das engagement im sozialen zum kotzen.


205

du wusstest, niemand ist dumm. spricht einer von der dummheit der anderen, weiß er nur nicht über den tellerrand seiner eigenen selbstverständlichkeiten zu sehen. genau wie der gescholtene. beide treffen sich auf gleicher ebene. aber der gescholtene ist dir eindeutig der sympathischere – solange wie er nicht den mund aufmacht. dann zeigte sich: wir sind alle gleich bescheuert. niemand ist klüger. verstehst du? ich nicht. was, du verstehst? du bist ein idiot.


206

es hieß, die frau sei durchgeknallt. er auch. aber sie sei durchgeknallter, zöge ihn mit. sie sei ganz spirituell. beide wollten nach berlin zu einer art sekte, ein jahr in klausur, um drogensüchtige auf den rechten weg zu bringen. du dachtest, ach, wären sie nur spirituell, aber irgendwie, auch wenn alle die köpfe schüttelten, sind sie nur scheißnormal. sie zeigen es nur ein bisschen mehr als die anderen, weshalb diese sie für durchgeknallt erklären.


207

er hatte die junge dichterin, die ihn in ihrer wohnung übernachten ließ – immerhin –, aufs diktiergerät sprechen lassen. sie hauchte sternseliges. du dachtest, die werde irgendwann stinknormal sein, wenn die pubertät endlich überstanden sein wird. ihre texte sind keine dichtung, sondern höheres gezicke. sie wecke den mannestrieb des zähmenwollens. aber dazu bräuchte es männer. danach dürste sie, nicht nach sternen. also nimm sie nicht aufs diktiergerät auf, sondern zeige ihr, was du willst, oder verzieh dich in deine stube. u. glaube nur nicht, so entstünde literatur. literatur ist nicht ersatz, sondern leben. wo du das leben nicht hinkriegst, schaffst du auch die literatur nicht. u. thomas mann beweist gar nichts. gründe du erstmal eine so große familie voller überbordendem suizidalem leben – u. sei gleichzeitig schwul. also.


208

du bist keiner, der neues vorzuweisen hat. zeigst du, was nicht fertig ist, hat es sich damit erledigt. die texte wachsen im intimen. die zeit spuckt sie irgendwann aus, u. zwar genau dann, wenn sie für dich nicht mehr aktuell sind. jetzt sind sie aktuell für die anderen, haben sich aus dem larvenzustand des privaten in öffentlichkeitsfähige schmetterlinge verwandelt. du hoffst, man lässt sie fliegen. in bezug auf literatur sind die schmetterlingsnetze noch nicht aus der mode. andere werfen geradezu ihre texte in die luft, damit sie von den netzen eingefangen werden. ansonsten plumpsen sie auf den boden, ganz wie die vortechnischen menschen mit ihren angeklebten flügeln u. maßlosen versuchen zu fliegen. zb grünbein, kling u. ähnliche. durch imitation eines lyrischen blenden sie die leute. u. doch fallen ihre texte zu boden. platsch. wie scheiße aus dem arsch.


209

du lehrst die genauigkeit. doch du müsstest sie erstmal sprechen lehren, ganz wie du es mit den ausländern tust.


210

die angebote des sexuellen: fo, ft, za, ns, kv usw verdrehen dir den kopf. stundenlang starrst du auf den bildschirm, dumm wie nur ein mythengläubiger, nämlich hoffend, die hure böte sich dir umsonst an, wenn du nur oft genug ihre anzeige daherbetest. noch jedes mal musstest du zahlen. außer bei – aber das geht euch nichts an u. störte nur den gedankengang.


211

die dicke mit ihren zwei trendy typen, von denen sie sich abwechselnd küssen lässt. wie allein muss sie sich vorm spiegel fühlen, wenn die haut sich lediglich dunkel an die küsse erinnert. ich weiß es. ich stehe oft genug vor dem spiegel. ihre beine waren nicht dick. sie waren blass. du erinnerst dich, wie du durch die durchreiche nur den torso ihres oberkörpers sahest: du dachtest: wer ist diese alte frau? die haut, die hände, die hüfte. alles andere ist noch jung. was ließ den torso so altern? welches déjà vue hattest du? du bestelltest noch ein bier. du dachtest den abgedroschenen satz, diesen sprachtorso, dass alles ganz anders werden müsse.


212

an der tankstelle das mädchen, die junge frau: ihre makellose haut, die saubere brille, der weiße, ärmellose pulli, die wohlgeformten brüste, das klare gesicht: für einen moment dachtest du, du wirst dich nicht mehr bewegen können; du habest dich umgeschaut wie euridike u. gesehen, dass da keine hölle ist.


213

sie schreibt dir: ihr leben bestehe zurzeit aus diáleimma u. ihr denken aus thalassa.



214

so wie andere arrogant-lässig-schwul mit der hand abwinken, hält sie ihren mund hoch, schläfrig halboffen, u. lässt die brosamen ihrer dichtung unters volk fallen, dass man ihr bitte nicht zu nahe kommen möge. diese lippen sind nicht zum küssen. diese worte schmecken nicht nach spucke, sondern sind mundgeruch: erhabene mundfäule.


215

ihre wohnung habe eine spezielle aura des spirituellen. auf meine frage hin, wie sie eingerichtet sei, konntest du sie nicht beschreiben. liebesblödigkeit ist ignoranz. il nemico é l’ignoranza. wessen feind? wohl des poetischen wortes. ich rate dir: schau beim nächsten mal hin. erkenne sie. u. sprich dann von ihr. wenn dann immer noch spirituelles, d.h. das infragestellen der menschlichen hybris, von ihr ausgeht (u. nicht die arroganz u. der zorn der demut), dann sage mir: sie ist etwas besonderes. ich kenne nämlich solche besonderen menschen. z.b. jene freundin; z.b. jener freund; z.b. dich.


216

in der badewanne: sie holt dir einen runter. du lutschst an ihrem großen zeh. einen augenblick lang ist es wie früher. einen augenblick lang zeigt sich eine zukunft, die doch, selbst nach vollzogener vögelei, sehr ungewiss ist, auch wenn sie schon war.


217

wenn du mit dem finger in sie eindringst: links die rauhe stelle, rechts der hügel. du nennst es hügel, den glatten hügel. als du aufgehört hattest, sie zu lieben, hast du begonnen, sie zu erforschen. du wolltest nicht, dass sie unter dem entzug leide – so wie du.


218

er erzählt auf mein entsetzen, dass ich schüler habe, 15 jahre u. länger in deutschland – nicht dieses dumme entsetzen der erwartungshaltung, nein, ich stelle mir nur die hölle vor, in der sie leben, diesen wahren existentialismus, hier sind die anderen die hölle –; er erzählte also, dass auch seine mutter, obwohl 30 jahre in deutschland, kaum deutsch könne. sie wird also nie seine texte lesen. jetzt wurden mir deine texte einsichtiger.


219

es ist bestimmt nicht das wissen, das man auswendig lernen kann, das mittel gegen den feind. auch nicht das wissen, das sich nur eingeweihten eröffnet. diese beiden formen: sie sind das wirkliche unwissen: sie ignorieren den anderen, sie wissen nichts von mir u. sie geben nichts preis von dir.


220

vieles von dem wissen, mit dem pound protzt, ist selbst usura. er wucherte mit worten, u. zwar dort, wo er sich hinter seinem wissen versteckt u. nicht wirklich sagt, was er wahrgenommen hat. als müsse ich erst die ganzen sprachen lernen u. die bücher auswendig lernen: wie ein kapitalist, für den ich auch erst interessant werde, wenn ich kram & kohle, also unnütze dinge, angehäuft habe, die er für das unbedingte hält.



221

du hoffst immer, im physischen gäbe die psyche endlich ruhe.


222

da wurde mir die tochter pounds unsympathisch: sie schrieb, man habe ihren babbo gar an einen neger gekettet. du dummes herrenmenschenfräulein, hast du gar nichts gelernt? dein babbo hätte – oder hat – wohl auch neger geschrieben, aber er hätte die fahrt nicht bedauert, sie hätte ihn belustigt. wie ihn der käfig belustigte. auch wenn auch er ein herrenmenschenarsch war. aber er war doch auch ein dichter. u. dichter können es sich nicht leisten, herrenmenschen zu sein. echte dichter. was nicht heißt, dass sie immer dichter wären. was nicht heißt, dass sie nicht viel scheiß verbrochen haben könnten. aber du fräulein, du warst nur sympathisch, solange du in gais warst. danach wirst du zur bourgeoisen kuh. zu einer, vor der man die dichter hüten muss.


223

brodkeys satz, immer wieder, auch mein satz: u. ich behalte mir das recht vor, pornografisch zu sein. schamlos.


224

wo sind deine urszenen, deine urszene? du erfindest dir eine nach der anderen u. spottest den archäologen, wissend, die arché ist ein witz. u. doch: wo sind deine urszenen? ist es nicht die abwesenheit dieser szenen, ihre anwesenheit an anderem ort, nicht in der familie? u. da bist du wieder: deine urszenen sind urobszönitäten, sie geschahen neben der bühne. du bist u. bleibst obszön. darf ich mich also guten gewissens an obszönitäten gütlich halten? wie ist das, vater? wie ist das, mutter? wie ist das, brüder? schwestern? ihr schweigt. wie je. nun gut. also dann.


225

du magst haare um die möse u. vorne den busch, den magst du auch. gerne spielst du darin. gerne siehst du das rot durchschimmern. oder das wort mit dem erotischsten klang: mauve.


226

du linstest durch den türspalt. sie stand gerade, die knie gewinkelt, vorgebeugt u. wischte sich mit toilettenpapier zwischen den beinen ab. kurz blickte sie zu dir her. sie hatte dich gesehen. sie will natürlichkeit. du begehrst. insgeheim will sie, glaubst du, das begehren. du findest dieses begehren natürlich. auch wenn du jede natürlichkeit gekünstelt findest. jedenfalls waren die blicke wie ein positiver kurzschluss, wie der kurze moment, in dem man sich an den direkten weg zwischen den bäumen hindurch erinnert. vorher u. nachher ist man gezwungen, die umgehungsstraße zu benutzen. man hält sie für die eigentliche straße.


227

warte mal, warte mal, hörst du’s rufen. du drehst dich um. im augenwinkel erhaschst du ein lachen. ansonsten weit u. breit niemand auf der nagahama allee.


228

du schwankst: ist dein bauch, die wampe, die kugel, das fett, das polster, die rettungsringe, das aufgeblähte: ist dein bauch schutz oder anzeichen dafür, dass du gebären willst? zwischen diesen beiden schwanktest du eh u. je, gleichgültig welche diät du gerade hinter dir hattest. (du hattest ihn immer fast dann los, wenn du einsahst, wie sinnlos der schutz war; u. dass du das gebären jemandem anderen besser überlassen solltest)


229

die bücher sagen: gefickt werden wollen ist für dich als mann grandiosität. du willst beides sein. ich frage: warum nur beides?


230

du suchst eine, die sich offen zu allen funktionen ihres körpers bekennt. die die schuld u. scham der verweisung nicht kennt. die sagt: das bin ich. ihr alle hängt dummen bildern hinterher. sucht das abbild von euch u. flieht es doch. wie steht es mit mir diesbezüglich?


231

pound. beckett. eine stunde. schweigen.



232

im traum fordertest du deinen schlüssel von ihr zurück. willst du, dass sie auf distanz geht u. räume von dir respektiert? oder willst du in ihr nicht mehr den mann sehen u. hast von ihr deinen schwanz zurück gefordert, damit du nun endlich ficken kannst. auch sie. wie letztes wochenende geschehen?


233

er streichelte die falte unterhalb ihrer pobacke. sie zuckte u. er zog die hand wieder weg. starrte an die decke.


234

verschont mich mit euren rührseligen geschichten, in denen nichts stimmt, euren fantasy-verblödungen usw. noch der dreck am baugerüst ist interessanter als eure pathoromantizismen einer heilen welt.


235

es klingelte. du greifst zum hörer, aber er steht schon vor der tür u. klopft: ein pickliger junger mann. pickel wie altes blut, fast schwarz. ich sei ja vor einer woche über ein schulprojekt informiert worden. ich wusste von nichts. ja, ein neuer bus für schulkinder, die armen kleinen. er zeigte mir eine liste voller unterschriften. in schutzfolie, aber zusammengefaltet. selbst jenseits der kästchen waren unterschriften. ob ich das projekt nicht unterstützen wolle, ab u. zu eine zeitschrift. aha abo. ein drücker. nein, es wäre für die kinder, kein abo. nein, nein. er könne jetzt gehen. ob ich das abo oder projekt schlecht fände. beides. wieso? das fände er traurig. die armen kinder. jetzt ärgerte ich mich maßlos, kochte innerlich. dieser arsch. ich sagte, er könne fühlen, was er wolle, beim nächsten mal solle er an der haustür, nicht an der wohnungstür, klingeln u. schluss. tür zu. warum hast du ihn nicht nach einem ausweis gefragt, ihn auflaufen lassen? mit der polizei gedroht? der armee? der sternenflotte?


236

ihr sitzt in der küche. du denkst: setz dich auf den tisch, so wie du es früher getan hast, ziehe die hose aus u. öffne die beine, wie damals, als wir uns kennen lernten. ich will dich schmecken, so wie ich einst auf den geschmack gekommen bin.


237

sie, die du liebst, gehört zu den leuten, die das espressopulver in der espressokanne, der kleinen silbernen, die man auf den herd stellt, mit dem löffel fest drücken. du kannst es ihr nicht sagen. völlig unmöglich. sie würde dir an die kehle springen. explodieren wie nämliche kannen es manchmal tun.


238

du siehst die begeisterung im tv u. beneidest die vielen um ihre begeisterung. welche ekstase. aber alleine, du glaubst an ihren kram nicht, du findest ihn gar gefärhlich. woran du glaubst, da gibt es solche ekstasen nicht mehr. deshalb holst du sie dir im rausch u. in der liebe. aber man weiß um die nebenwirkungen der toxicomanien. aber allein, es ermöglicht ein zusammensein mit anderen, das dich aufgrund eines idols oder einer jenseitigkeit aus den augen verliert. die wahrnehmung bleibt physisch. ich weiß, es ist euch unangenehm. aber ich weiß auch, es ist unsere einzige chance. u. ihr wisst es insgeheim auch, sonst würdet ihr euch nicht so sehr in diese begeisterung, die man im tv sehen konnte, stürzen. so wie todkranke in ihre letzte party.


239

klägliche erotische ausbeute eines wochenendes: einmal das füßchen gefrückt. aber zehnmal aufs hühnerauge getreten.


240

als ich ihr von der diagnose: narzisstische grundstörung, erzählte, sagte sie gleich: ich weiß, was er meinte. dabei hatte ich vor dem diagnostiker unsere beziehung mit keinem wort erwähnt. es ging darum, dass ich mich in größenwahnträumen ergehe u. mich nicht in der wirklichkeit durchsetze, so wie ich dir in diesem moment auch nicht widersprach u. dir deine unsensible dreistigkeit um die ohren schlug. was du meinst, in mir zu sehen, es ist nur dein spiegelbild. wisse, ich bin ein zerrspiegel. denn weißt du, ich bin ein wenig aus dem leim gegangen.


241

sie hat kaum wirkliche erinnerungsstücke. aber sie sammelt geschmackvolles aus der zeit, aus der sie erinnerungsstücke, d.h. erbstücke haben sollte. sie baut sich eine neue vergangenheit, um sich an die vergangenheit, die war, nicht erinnern zu müssen.


242

einer spricht laut u. iterierend ins handy: sitze wagen 23 platz 16. ich wollte, denke ich mir, dabei kurz die lektüre unterbrechend, du säßest da nicht.


243

er verwechselte in seinem text, den er an der theke auslegen ließ, metapher u. vergleich. ich wies ihn darauf hin. doch letztlich wäre es gleichgültig gewesen. aber sein text war wie fürs romantiklehrbuch geschrieben. u. im lehrbuch sollte schon alles stimmen. aber der text krankte daran, dass er nichts eigenes enthielt. hätte er eigenes enthalten, wäre es scheißegal gewesen, dass darin metapher u. vergleich verwechselt wurden. das wäre einfach nicht wichtig gewesen. aber so.


244

du wolltest wissen, wo ich schreibe. gerade bin ich auf der toilette, an meinem arbeitsplatz. jobplatz sollte man sagen, denn es ist nur ein job. sonst schriebe ich hier nicht auf dem klo.


245

als ob nicht auch deine lebenszeit abliefe, wartest du u. rührst dich hier u. da mal u. das wird dann dein leben gewesen sein, wenn nichts anderes passiert. was könnte passieren? dass du auf einen anderen zug aufspringen möchtest u. jetzt auf den wartest.


246

der extrem hübsche u. extrem ruhige türke betont stets: alles extreme verhalten sei gefährlich, nicht bedenkend, dass ein verhalten ohne extreme äußerst extrem ist.


247

dir tagträumte zu dem lied se taire: du besitzt ein café. dort stranden zufällig deine freunde. eine band spielt, als du einrittst, stürmt dir deine 14jährige tochter entgegen u. zieht dich auf die bühne. du sollst einen text lesen. jetzt erkennen dich die freunde, die du lange nicht gesehen hast. du liest texte, die deine vergangenheit beschreiben. hier endet der tagtraum oder wiederholt sich wie eine platte, die hängengeblieben ist.


248

die gelben flachsfelder. der löwenzahn auf der wiese. auch gelb. überzählig. sie sagte, davon könne sie wieder eine weile zehren. er dachte: kann man sich nicht einfach am anblick erfreuen, ohne ökonomisch zu werden? außerdem: dass er kein landmensch sei. höchstens dann, wenn sie sich nackt in die wiese lege u. er ihren dichten busch lange küssen könne u. das rote darin.


249

dass sich einfach keine in dich verlieben wollte. rein statistisch müsste doch gelegentlich eine kommen. verdammt noch mal. ihr könnt mir gestohlen bleiben. du auch, die du so seltsam verliebt glotzest.


250

gefragt, welche philosophie oder welche struktur hinter deinen texten stünden, hattest du keine antwort parat. du wolltest sagen: keine. dachtest, jeder gute text entzieht sich philosophien, systemen u. strukturen u. erhält so eigenes poetisches leben. bastians abschwingen. aber auch das wäre ja dann eine philosophie, eine struktur oder anti-struktur, wie man’s nimmt. so bleibt: du schreibst. das was, wie u. warum ist bei jeder zeile da. aber es auch sagen zu wollen, reicht an vermessenheit heran. außerdem könntest du dann die zeile nicht mehr sagen. wie: du sitzt am tisch u. hilflosigkeit überkommt dich, wenn du liest, wie es die anderen machen. u. dann setzt du dich hin u. schreibst einige zeilen, von denen du denkst, dass sie kein anderer hätte schreiben können, so wie keiner wird dein leben leben haben können. egal ob das nun der große wurf ist oder nicht. bist du denn der große wurf? danach fragt niemand. ich muss mein leben so rum kriegen. ebenso schreibe ich.


251

du liest nicht der mode nach. du schlägst deine eigenen trampelpfade durch die literatur. deshalb liest du zumeist auch nicht, was man dir schenkt oder aufdringlich ausleiht. es bleibt im regal liegen, bis es jemand wieder mitnimmt. diese bücher sind kein teil von dir. da sind der, der dich beim gehen anrempelt, oder die, die dir flüchtig zulächelt, mehr teil deines lebens. du nanntest sie die engel deiner tage. jeden tag begegnet man einem engel. zumeist übersieht man ihn, zu sehr wurde einem vom religiösen die wahrnehmung versaut.



252

ich lebe u. schreibe vielleicht in freien assoziationen. aber ich mag das gar nicht sagen, weil es dann doch wieder nicht stimmt.


253

alle würden mich mögen, sagte sie. dabei mag ich doch nicht alle. u. wen es nicht kümmert, ob ich ihn auch mag, den mag ich schon gleich gar nicht. übergehendes mögen finde ich zum kotzen. wen mögen die eigentlich? u. du? magst du mich? sag schon! sag endlich! los jetzt!


254

sie sagt, sie habe keine moral. dieser moralismus war zu einer zeit mode, aus der auch der ganze krempel stammt, mit dem sie ihre wohnung vollstellt, denkst du. olle kamellen sind nicht dein ding, vor allem wenn sie dir als der letzte schrei verkauft werden.


255

langsam verstehst du, was provinz ist: sie nehmen weder die örtlichen noch die zeitlichen realitäten an. sie hängen einem anderen hinterher. sie erkennen nicht, was hier geschieht. folglich findet es sich auch nicht in ihrer kunst, die anderem nacheifert. das ist provinziell. du bist es selber oft genug. wenn du es zu sehr nicht sein willst.


256

watergate. du bist der meinung: watergate. dass jeder in einem watergate lebe. würden sich jeweils zwei journalisten die mühe machen, euer leben (u. meins) zu untersuchen, sie fänden korruption, lüge u. intrige. sicherlich in anderem maßstab, aber in bezug auf den einzelnen dann doch in gleichem umfang. u. hier gelten keine kulturellen grenzen. es ist das verbindende. genauso wie die tatsache, dass man punktuell doch die wahrheit sagen kann. punktuell, halbwegs u. nur sehr gelegentlich.


257

gute literatur sagt das, was wir normalerweise nicht hören oder hören wollen. sie ist deshalb unerhört u. sagt das unerhörte. in ihr steckt also die möglichkeit, dass es, das unerhörte, doch noch gehört wird. wenn du es willst. (wenn du es nicht willst, wird sie sich in dich hinein fressen u. ihren tribut fordern. deshalb lassen so viele die finger ganz schnell wieder von der literatur. aber wisset, das unerhörte sickert durch alle ritzen des alltäglichen. à la longue kriegt es alle. früher oder später. also schnell weiter geschrieben. ich höre euch schon nicht mehr. kenn euch nicht mehr.)


258

in den medien katastrophenalarm. mir steht das wasser bis zum hals. ich liege in der badewanne.


259

du redetest den sarkasmus des alten freundes, der nicht in die pötte u. nicht aus der träumerei heraus kommt, nieder. spieltest du erwachsensein oder wirst du es wirklich? schließlich hast du dir auch einen bart stehen lassen. seine unentschlossenheit ist keine gelassenheit. er entrückt der welt. u. ist in seiner kleinen doch so fest mit beiden füßen auf der erde. mehr als du.


260

ich bin der geborene versteher. stets sprach mein vater von dingen, die ich nicht verstand, aber irgendwie verstehen musste. so lernte ich verstehen, auslegen, interpretieren, analysieren. bei meiner mutter ebenso. nie ein direktes wort. alles nur vorderhand u. hinterrücks. u. man sucht sich bekanntlich seine leute nach dem bild der eltern. also seid sicher, dass ich mir unsicher bin in bezug auf euch. euch nicht verstehe. wegen des vorderhändigen u. hinterrücksen. seid sicher, die ihr so unsicher seid, ich bin wie ihr. ich verstehe euch, ich verstehe das nur zu gut. ich stehe euch in nichts nach. versteht ihr? aber sicher doch, was frage ich nur.


261

fährnis: das hört sich dir nicht gefährlich an. eher wie eine fahrt über einen fluss. über den lethe vielleicht, klänge es nicht so hochgestochen.


262

immer wieder: zwischen ihre beine. mit dem mund. du wirst es nicht müde. l’origine du monde. la persistence du monde usw. egal, wie es heißt. wie es riecht, wie es schmeckt, wie die haare deine zunge kitzeln, das zählt für dich. immer wieder. dein leben. es zieht dich nicht hinan. aber es zieht dich: dich nicht gänzlich aufzugeben.


263

auch wenn sie dir einen zeh in den mund steckt. du wünschtest, dass sie sagt: da nimm. würde sie es sagen, würdest du auch viel weiter gehen. da nimm!


264

das ist es, was dich am mannsein stört: dass du spender sein sollst. du möchtest empfänger sein. hier spendest du. also kannst du anderwärts empfangen. musst du empfangen. hier nimm. u. du: gib!


265

dein narzissmus ist paradox: weil du dich zu wichtig nahmst u. glaubtest, du habest tatsächlich schuld, schafftest du es nicht, rechtzeitig „leck mich am arsch“ zu sagen u. verflüchtigtest dich in vorträgen. aber man sollte in erster linie auf das hören, was aus einem kommt, wo keiner sagt: das sollst du nicht u. du musst. das „man sollte“ fällt hier sofort zurück u. es spricht u. es bauen sich keine zäune u. mauern um dich, aus deren labyrinth du nicht mehr herausfindest.


266

er vermisste den park. den thailändischen buddha, das schlechte café am see, die scheißenden gänse, die wiese der sonnenbadenden, die brücke über die garmischer, den kräutergarten mit den wundervollen wörtern, den chinesischen garten, in dem man durch ein rotes glasfenster die welt in einem anderen licht sehen konnte, den japanischen garten, in dem ihr einst miniaturpetanque gespielt hattet, das kneiptretbecken usw. –. jetzt radelst du lediglich an einer tankstelle vorbei, überquerst eine straße, schießt hinab zum park an der stadtmauer, wo hübsche russinnen rumstehen, vorbei an einem schmucken kräutergarten, über ein brücklein, am altersheim vorbei, übers kopfsteinpflaster, hinein in die kneipe. einer spricht von tausend theaterstücken, der andere von esoterischen weisheiten, trotz derer ihm ab u. zu ein guter vers gelingt, einer imitiert einen ramboesken kafka u. alle sehnen sich nach sex u. liebe, die sie sich hier vom hals halten. du warst einst durch den park gerannt u. hattest nicht gewusst, wo du ein bier trinken sollst. jetzt weißt du es. aber weit ist der park jetzt entfernt u. die weißen beine, die neben den meinen ins tretbecken stiegen. thaibuddha, verzeihst du, dass ich dich nicht mehr jeden zweiten tag grüße? ich muss eine weile hier bleiben. musste ins verborgene, infantile. ins exil. aber dann werde ich tun, was ich dir einst flüsterte. egal wo.


267

einen italiener einen italiener lesen lassen, der auf deutsch über italien schreibt, wohlgemerkt in abgeschmacktem deutsch, das sei interkulturell. dir sind deine schüler lieber, die kaum deutsch können, dir aber von sich in ihren paar wörtern erzählen. sie biedern sich nicht einem interkulturellen an, das irgendetwas beweisen soll, was das auch immer sein mag.



268

sie sagte: du bist der eine. ich antwortete: ich bin der andere. sie meinte aber einen ganz anderen. wenn sie gewusst hätte, dass du in der faz besprochen wurdest, hätte sie sich nicht mit dem anderen über den ganz anderen unterhalten. von wegen interkulturalist. es bleibt célines diktum: von wegen verschiedene kulturen, überall dieselbe wichse. ein wahrhaftiger interkultureller satz.


269

du überlegtest bei dem gespräch nur, wo ihr zweiter bh-träger hingerutscht sei u. ob sie womöglich asymmetrisch sich gestylt habe. du hättest es gut gefunden. aber der träger war lediglich verrutscht.


270

sie hatte dir knallrote schnürbänder in deine braunen schuhe eingenestelt. du fandest es originell. sie wollte es aber als einen witz angesehen wissen. das passe doch wirklich nicht zusammen. da warst du enttäuscht. ebenso wie sie, weil du den witz nicht erkannt hattest.


271

der schwätzer kam an deinen tisch u. nannte tausend literarische namen. du umarmtest das geländer u. hättest gewollt, es wäre zwischen dir u. ihm angebracht.


272

er leitete seine frage damit ein: du kennst dich doch aus in literatur.

du dachtest: ich kenne eine halbe handvoll schriftsteller. jedoch schwiegst du u. hörtest dir artig seine fragen an, auf die du keine antwort wusstest.


273

zwar hundeelendmüde, dennoch zwei seiten im münchen-buch des eugen rapp gelesen. allein dieses buches wegen wärest du nach münchen gezogen, hättest du es früher gekannt, damals als du noch nicht fünf jahre in münchen gewohnt hattest. auch bist du ja schon wieder weggezogen. dennoch.


274

das, was dich am meisten nervt: getue. es ist das gegenteil von: etwas tun. moralisches getue, getue der angeblichen unmoral, ästhetisches getue, getue des angeblich natürlichen, das getue des gesunden menschenverstandes usw.. sie alle wollen dich aus welchen gründen auch immer (keine guten jedenfalls) daran hintern, dein ding zu tun. sie wollen, dass du dich ihnen andingst, resp. verschwindest. getue gibt es in poetischen belangen (der erhabene dichter), im beruf (die überflieger u. hierarchisten), im alltag (die besserwisser, pedanten, perfektionisten), zu Hause (die ein- u. zurichter), in dir (die heuchelei) ---


275

du weißt, dass ich hinter deine masken sehen kann; deshalb, gerade deshalb wirst du mich je um den finger wickeln können, weil ich diesen blick mit vertrauen verwechsle; weil ich denken muss, du seiest eine vertraute. du wirst dich dagegen wehren – u. sei es dadurch, dass du dir die maske vom gesicht reißt u. mich anschreist.


276

wenn du es endlich geschafft haben wirst, von liebe umgeben zu sein, wirst du dich von ihr umzingelt fühlen u. es nicht ertragen; wirst unbändige lust verspüren, alle zu erschlagen, weil sie dir deinen normalzustand, den grund deiner verrücktheit nehmen wollen.


277

es ist die empfindungsresistente narbe das zentrum jeder empfindung. sie ermöglicht die empfindung u. die kraft, sie kenntlich zu machen. ihre geschichte, meine geschichte zu erzählen. so wird sie glühen.


278

die russlanddeutsche aus kasachstan fragte, was „streetworker“ hieße. ich erklärte es lang u. breit. sprach von vertrauen u. gespräch usw. irgendwann schien der groschen gefallen zu sein u. sie rief: also eine art polizist. u. ich dachte, die weiß gar nicht, wie sehr sie den nagel auf den kopf getroffen hat. u. wie viel sie über die ehemals kommunistischen länder verriet. u. doch: hüte dich vor den klischees.



279

immer wieder die perverse hoffnung, dass ihr tod dir freiheit brächte. aber hat dir sein tod freiheit gebracht? du wurdest ihn nicht los. erst langsam. u. doch ist es eine möglichkeit. tod u. freiheit, das ist nichts metaphysisches: diese beziehung bleibt eine reale möglichkeit: das ende einer geburt u. somithin doch eine geburt. hättest du die nerven, dieses geburtstrauma zu bewältigen?


280

im tv spricht der hyperaktive politiker, der mal sagte, ich schreibe ein buch, bevor andere aufstehen. er spricht von indern u. eliten u. was weiß ich u. arbeitern u. er weiß alles u. du denkst, der weiß, trotz seiner bildung u. seiner agilität u. seiner superschulenprofessoren gar nichts mehr u. deshalb hat ihn der krebs gefressen, die kehrseite seiner meinungskanonaden auf etabliertem niveau. de mortuis nil nisi bene: seine schlacksige sitzhaltung war ok.


281

wo die sitzt, redet man über literatur. nur die hübschen frauen laufen außen vorbei. von den zweien, die da sind, nervt die eine mit ihrem liebeskummer. 20 jahre mit einem mann zusammen. damals im chinesischkurs kennen gelernt. vor einem jahr habe er sie wegen einer chinesin verlassen. jetzt plane er nach china zu ziehen. sie will in china urlaub machen. du denkst an paul, der dir damals, als du deinen liebeskummer loswerden wolltest, sagte: cherche une autre! die andere frau ist laut, dumm u. hässlich. du bist froh, dass sie nicht oft kommt. sie unterrichtet an der uni. sie hat die größtmögliche kunstferne. auch der dichter ist verliebt, unglücklich wie es sich gehört, u. schaut dich treudoof an. hier gehst du jeden abend hin u. bist froh, dass du da hingehen kannst.


282

dass meine mutter nie lebendig war. sie war stets zu lebendig, als dass sie hätte leben können. sie konnte sich nie einleben. u. genau das hat sie ihr leben lang versucht. durchsetzt mit ausbrüchen, die sie weiter denn je vom einleben entfernten. kurzum, sie brauchte diesen gestrengen mann voller schuld an ihrer seite. sie beide hegten sich ein, führten ein einleben, das ein leben ausschloss. dass mein vater nie lebendig war, er war stets usw.


283

ist das leben ein sadistisches geschenk (weil dann doch eher nur geliehen) oder eine strafe, die man absitzen (abarbeiten) muss?


284

die mutter fragte weinend, was sie falsch gemacht habe. nichts antwortest du. du wusstest, sie weint nicht um dich, sondern um sich. du hättest fortfahren sollen, nichts hast du falsch gemacht. es ist keine frage des machens, sondern des fühlens. wie in kor. I, 13 beschrieben (wenn das dein vater wüsste, dass du die bibel ins feld führst)


285

du standest von der couch auf. deine analytikerin saß noch da mit überschlagenen beinen u. verschränkten armen. sie schien sich zu schützen. als sie aufstand, sahst du für einen kurzen moment ihren gelben slip. sie hat ihn dir gezeigt. du dachtest an freuds bemerkung über eine analysandin, die ihren rock zurechtzupfte. abwehr oder verlangen?


286

wie du als kind um die schokolade herum gingst wie die katze um den heißen brei (u. dann u. wann die schokolade auf einen sitz verschlangst u. katzenallergie bekamst), so schleichst du heute um den körper der frau.


287

sie schreit: fakten, fakten (ganz wie in der werbung) u. redet über die juden u. dass man das mal sagen dürfe, dürfen müsse (endlich wieder). du denkst: reden ja, aber du machst alle mundtot mit deinem geschrei u. deinen fakten. du zeigst nur deine grenzenlose dummheit (das über-einen-kamm-scheren). wahrscheinlich bist du nur schon lange nicht mehr gefickt worden, denkst du in stüberlmanier, u. dir wird bei der vorstellung daran übel.



288

wenn dich der lokale dichter mit den worten vorstellt: auch ein dichter, denkst du, er spräche von einem anderen oder du hättest geschwindelt.


289

sie gaukeln dir wissen u. sicherheit u. kausalität in bezug auf das leben vor: sie trichtern dir ein: lebe so u. du wirst gesund (glücklich, reich usw.) sein; mach das nicht (rauche nicht, trinke nicht usw.) u. du wirst nicht krank (nicht unglücklich usw.) werden. dabei befriedigen solche aussagen nur das bedürfnis, nicht im ungewissen zu bleiben. ein bedürfnis, das künstlich geweckt wurde. zu zeiten, als man die angemahnten dinge einfach tat, gab es keine ungewissheit. da fand man für krankheit, unglück usw. andere gründe. letztlich bleibt: was als kausalitäten ausgegeben wird, das sind nur korrelationen. sie sollen uns abhalten, tiefer zu gehen. z.b. tiefer der frage nach zu gehen, warum unsere liebe so schwierig ist u. die illusion so schwer zu durchbrechen. sie wäre es einfacher, hielten wir uns an physische u. moralische diätetiken. wir wären nun abgelenkt. abgelenkt von den altbewährten ablenkungen, die einige uns nicht mehr gönnen wollen. du zündest dir eine zigarette an u. trinkst rotwein u. hörst deinen gedanken zu u. wirst nicht aufhören, für jemanden da zu sein – u. sei es manchmal auch nur für dich.


290

du fragst dich, warum die katholiken stets so schuldbeladen sind. du dachtest, das gehöre eher zum protestantismus u. ihrer ewigen sorge, ob sie der gnade hätten. aber die katholiken können doch beichten: u. dann ist wieder gut. du denkst: die schuldgefühle der katholiken – diese gefühle, die nicht enden wollen, mit keiner beichte nicht – zeigen, dass die katholiken trotz allen brimboriums, das es einem leicht machen soll, nicht an ihre sache glauben. deshalb dann der dogmatismus, der stets ein zeichen von unglaube ist. aber keiner darfs merken. wie jedes regeln aufstellen.


291

warum einem gott etwas erzählen, das er angeblich eh schon viel besser wisse. ich erzähle es lieber dir. auch in dem wissen, dass du es auch schon weißt. aber vielleicht bist wenigstens du dann plötzlich da.


292

es ist heiß. du liegst mit deinen schwestern draußen auf der wiese. eine edeltanne wird durch ein seil gehalten. in der küche auf der spüle steht eine kanne mit kaltem pfefferminztee mit zitronensaft. abends gibt es zerdrückte erdbeeren mit sahne, dazu butterbrote. deine mutter erschien dir kräftig, als bestünde sie nur aus sehnen u. muskeln. den rest konntest du nicht sehen.


293

die quarkpermornance fanden alle ästhetisch. du auch. doch denkst du: dass dir nichts einfällt dazu. höchstens alte schlagworte: im hervorheben des körpers verschindet er usw. beschriftung, homo zu homunculus usw. du sahst, wie er seinen schwanz versteckte. später klemmte zwischen den beinen eine illustrierte, deren seiten er sich an den körper pappen wird. das sieht gut aus. greenways pillow book ordentlich dazu abgestimmt u. draufprojiziert. da fällt dir nichts mehr ein. die frau sagt, die letzte performance sei hart an der grenze gewesen. da musste sie ihn peitschen. aber: das ist doch kunst, den körper zu transformieren. ein gewaltakt. ist es das? du weißt es nicht, weißt nichts. dein kopf läuft leer. später musst du flüchten. als er die bühne sauber wischte: das fandest du die bessere performance. das zerstören der spuren. als spur. da hättest du gerne noch länger zugesehen. warum wischte er nicht als illustriertenmann die spuren weg, die er doch selber immer wieder legt?


294

aus ihrem top lugt der schwarze bh. ein blonder junge reitet sein bike nur auf dem hinterrad. sie schaut begeistert zu. du radelst normal durch die nacht u. bist doch ganz verrückt. als wolle die welt, die du so sehr liebst, dich nicht. als bestehe die welt aus weltverneinern, die dich verneint haben, als nicht zugehörig zu ihrer kultur der verleugnung. so wird dort, wo die welt sich selbst ad absurdum führt, sie gerade fassbar. wenn man sich vom vereinnehmenden nicht beeindrucken lässt. so ist der wurm an der angel die letzte nachrung für den fisch im gereinigten becken.


295

sie trug schwarze schuhe. hoher absatz. offen. nur die zehen bedeckt. auf dem rist ein kleines tättoo. sie schaute dich immer wieder an. du warst mehr erregt, als hätte sie nackt da gesessen. aber ich glaube, sie hat sich gelangweilt. du saßt aufrecht. hast vorgelesen. groß getan. lieber hättest du ihren rist geküsst. oder ihren bauch, der leicht über die jeans quoll. lieber schreibst du dinge, die du gemacht hast. du hoffst, du wirst über sie schreiben können. leben, komm zu mir.


296

nutze deine talente. du hattest immer gedacht, dann laufen alle weg.


297

der besoffene magyare u. der besoffene deutsche schreien sich am thresen an. nicht dass sie stritten. sie diskutieren das weltwissen. der magyare ruft immer wieder: was hältst du von eschnatón, betonung letzte silbe, in agyptón, ohne umlaut u. ebenfalls betonung letzte silbe. der deutsche entgegnete lautstark: attilar, atta unna, unser vater, weißt du das, weißt du das. der magyare: was? atahualpa? maya? aber was ist mit eschnatón aus agyptón, was hältst du von eschnatón aus agyptón. er reckt sich, wohingegen der deutsche anfängt, englisch zu sprechen. irgendwann verstummen sie. ein letztes leises: was hältst du von eschnatón u. attar unna, unser vater. dann starren sie vor sich hin.


298

im film vermischt sich analoges u. digitales. das überbordene der live-performance wird im angeschauten film zum körperhaften. der draufprojizierte film erhält eine komponente von fleisch. so durchkreuzen sich die wege. vielleicht war es auch eine anspielung.


299

sie erzählt: als sie im kindergarten war, habe die erzieherin ihre mutter angesprochen. das kind brauche psychologische hilfe, es male nur mit schwarz. sie lacht u. spricht weiter: ja, aber sie sei die kleinste gewesen u. die größeren hätten ihr immer die stifte weggenommen u. deshalb habe sie immer mit schwarz gemalt. von wegen hau u. so. du denkst dabei, sie hätte damals tatsächlich hilfe gebraucht. denn sie lebt heute noch genauso wie damals im kindergarten. sie lässt die anderen ihr alles wegnehmen u. vergällt es mit schwärze. normalerweise sind dir solche leute sympathisch. sie ist es nicht. weil sie doch froh ist, dass ihr alle stifte weggenommen werden. einerseits muss sie dann nichts buntes malen, andererseits habe sie so das recht, wie sie glaubt, vergeltung zu verlangen. man müsse sie nun auf händen tragen, damit sie nicht mehr die kleine ist, der man alle stifte wegnimmt. u. weil sie nicht zulässt, dass du sie auf händen trägst. u. sie deine stifte nicht will. die nun austrocknen.


300

du erinnerst dich an ihren parfümgeruch, ein ganz süßer geruch. ihr saßet im auto u. du küsstest ihre kleinwarzigen brüste. später erfuhrst du, dass alle deine freunde auch schon daran geknabbert hatten. wie oft hattest du zu hause auf deinem bett gelegen, dir vorgestellt, du würdest zu ihr fahren u. ihre möse lecken, während kaum später am tag deine freundin kam u. dir die ihre anbot. nach dem autoerlebnis hast du die kleinwarzige, glaube ich, nicht mehr wieder gesehen. auch nicht beim wichsen an sie gedacht. die freundin hast du dann auch irgendwann vergessen.


301

du rennst einer fata morgana hinterher. bist du da, ist sie weg. aber dort hinten, das ist keine. also rennst du los. rennst du hin. leider ist es doch eine. egal. es war nichts. auch wenn es echt gewesen wäre, wäre es doch nicht das wahre gewesen. siehst du dort, dort bei der mulde? dort ist es jetzt aber, komm. wir rennen hin. du siehst schön aus, wenn dir der schweiß in den ausschnitt des kleides rinnt. fast als wärest du echt.


302

du willst, du willst, du willst, immer: du willst. was willst du? was willst du denn geben? frage ich mich.


303

wer sich mit du anspricht, spricht entweder aus dem jenseits oder aus einem geschehen heraus, dem dein eigener verstand, der der worte bedarf, um hinterher zu kommen, ein wenig jenseitig ist. du hingegen kennst kein anderes jenseits als deinen eigenen verstand. du sprichst also, wenn du sprichst, mitten aus dem geschehen. aber wisse, geschehen ist nicht immer prall. auch ein dasitzen, harren, aufstehen u. sich-wieder-setzen ist geschehen.


304

du glaubst ja nicht an dummheit. auch wenn sie dir begegnet, z.b. in form von zwei idioten, die es nicht unterlassen können, dich ungebeten anzuquatschen. im kopf hast du sie lange schon erschossen. wie gesagt, du glaubst nicht an die dummheit.


305

dass ich meine eltern, meine geschwister, meine freunde u. freundinnen im grunde nie verstanden habe, sie aber habe immer verstehen wollen, habe wissen wollen, was sie denken u. fühlen, wie sie denken u. fühlen, habe unbedingt wissen wollen, was sie von mir u. über mich denken, was u. wie sie in bezug auf mich fühlen, wie ich sie fühle, bis ins mark fühle als welche, die ich im grunde nicht entbehren kann, aber oberhalb des grundes, dort wo unser schwebendes, in der luft hängendes leben stattfindet, entbehren musste. zumeist zumindest. u. zum glück.


306

was ihn nicht interessierte: theorien oder denkweisen, die auf einem einzigen axiom beruhen u. die lediglich korollarien zu diesem axiom bilden. echte denkweisen u. theorien akzeptieren inkonsistenzen, vergleichbar dem welle-teilchen-dualismus in der physik. im menschlichen gibt es nicht nur einen dualismus. je nach gegebenheit müssen wir eine andere erklärungsweise finden. diese sind jedoch nicht beliebig. große geister wie nietzsche oder freud haben die inkonsistenzen stets akzeptiert, was ihnen von kleingeistern zum vorwurf gemacht wurde. auch vielleicht weil es ängstigt, wenn jemand die realität darstellt: das uns fremde.


307

du berichtest deinem arzt diese kleine geschichte: ein kleiner junge kommt wegen einer harmlosen krankheit zum arzt. aufgeregt u. ängstlich fragt er den arzt: muss ich sterben? lachend antwortet dieser: noch nicht. die pointe fand dein arzt gar nicht lustig. verstand auch nicht die unermessliche tiefe. er reagierte nur barsch u. wollte von solchen dingen nichts wissen. da wusstest du, dass er kein guter arzt sein konnte. das leben ging ihm noch zu nah, als dass er es hätte mit ihm aufnehmen können. u. das muss ein arzt doch können. genau wie ein dichter.


308

bestimmtheit, d.h. bei dir: in worte fassen. ob darin jemand etwas bestimmtes zu erkennen vermag, sei dahin gestellt. das bestimmte ist die stimme selbst, die spricht u. nicht schweigt. die es wagt, sich zu ergreifen. dann meinst du, du hast etwas schon begriffen. mehr, so denkst du, ist nicht möglich. der rest ist die unbestimmtheit, die man zu ertragen hat. diese bestimmtheit verlange ich von dir. verlange nicht von mir, dass ich die unbestimmtheit negiere u. so tue, als sei alles bestimmt. bestimmt ist nur, was du deine stimme geben kannst. was in unserem fall noch lange nicht heißt: wählen oder entscheiden. so weit bist du noch lange nicht.



309

manchmal dachte er, wenn er die fehler in den systemen sah, die lügen u. die heuchelei, er habe in diesen bereichen zu viel bewusstsein, was damit bezahlt werden musste, dass ihm so vieles andere unbewusst worden war, u. dass darauf seine feigheit beruhe, die ihn daran hinderte, gegen die fehler, die lügen u. die heuchelei etwas zu tun; die ihn fehler machen, lügen u. heucheln hieß.


310

der herr k. ging ins puff u. orderte die drei sirenen, die sich als mäusesängerin josefine in bastrock, als affe rotpeter u. als dominatrixkäfer georg verkleidet hatten. k glaubte, sie würden es ihm besorgen, dass ihm hören u. sehen vergehen werde, aber die drei blieben teilnahmslos. herr k. wagte es nämlich nicht, ihnen zu sagen, was sie tun sollten. zuhause rächte er sich natürlich an ihnen u. verleumdete sie schriftlich. nachdem die drei die verleumdungen gelesen hatten, verfielen sie einem aktionismus u. veranstalteten ein charivari sondergleichen, dass herr k. seinen lebtag keine ruhige minute mehr haben sollte.


311

seit ich denken kann, seit auch nur ein wort in meinem kopf herum spukt, habe ich angst vor dem tod. u. seit diesem augenblick benutze ich die wörter, um den tod, den sie evozierten, schön zu reden.



312

ach, ich hätte dir schon vielhundert briefe geschrieben, wenn ich nur deine adresse wüsste. u. wo schreibst du nur deine briefe hin, dass sie der postbote nicht in meinen briefkasten wirft. ach, ich könnte dir erzählen, wie sie sich aufregte, weil ich fast viertelstündlich am morgen, am mittag die 3 stockwerke hinunter sprang, nur um zu sehen, ob ich post von dir habe. aber nie hast du auch nur einen brief geschrieben. oder habe ich es nur vergessen? wie könnte ich sonst von deiner existenz wissen? schließlich bist du der grund, dass ich mich täglich im schreiben übe.


313

du fängst an, zu dir zu kommen. du findest ihre respektvollen scherze nicht mehr lustig. du willst nicht mehr ihr clown sein. sollen sie ihre selbstverachtung woanders ausagieren. hörst du?


314

die mittelalten männer redeten wie pennäler von frauen. dir kam das seltsam vor. sicherlich, du hattest gerade pornographie angesehen, dir einen runter geholt, warst bei einer nutte u. hast bizarre dinge mit dir machen lassen, die die sich selbst in ihren pennälerträumen nicht vorstellen könnten. trotzdem. du dachtest: so wird das nie etwas. sie erhalten den abstand, den sie überwinden wollen.


315

selbst die knöpfe, die ihre weiße bluse am hals hinten im nacken zuknöpften, erregten. sie trug eine große blüte im schwarzen haar, das streng hochgesteckt war. dünne lippen. sie erinnerte ihn an frida kahlo. sie unterhielt sich mit einem jungen, wohl der kleine bruder ihrer freundin. er konnte nicht ablassen, immer wieder zu ihr hinzusehen. es ging strenge von ihrem gesicht aus, das eine physische präsenz hatte, dass es ihm auf der haut wehtat. er wollte, dass sich ihre beide körper aneinander schmiegten. eine umarmung gäbe ihm kraft für jahrhunderte. sie erbat sich immer wieder feuer von ihm. als er ging, stoplperte er über einen stuhl u. hatte sich wohl endgültig als trottel bloßgestellt. u. doch wusste er, dass er ihr nicht gleichgültig war. wenn er nur tätig geworden wäre, hätte hier eine geschichte beginnen können. so blieb eine erinnerung wie beim betrachten eines außerordentlichen bildes, das alarmgesichert ist. tritt man zu nahe, ertönt eine sirene.


316

sie zerfleischten sich den kopf, rannten auf ämter, machten therapeuten verrückt, beschimpften den freund, rauchten viele zigaretten, schliefen schlecht, arbeiteten kaum, wurden krank, wurden verhärmt – bis sie dann doch endlich eine kleinigkeit veränderten.


317

italien, von deutschland aus betrachtet, ist nichts weiter als eine verlogene sehnsucht. deutsche italienfahrer sind unerträglich, außer sie sind zynisch geworden. dann hat sich ihre unerträglichkeit auf eine erträgliche unerträglichkeit verschoben. ab jetzt können sie sogar amüsant sein. aber die anderen, die schwärmer, sind einfach nur unerträglich.


318

das interesse für horrorfilme ist ein verstecktes interesse für psychologie. da man aber dem wahren horror nicht in die augen blicken will, lässt man sich vom fiktionalen horror kitzeln u. hält sich zu allem überdruss auch noch für mutig. ich halte bei diesen blutszenen u. schlitzereiein die augen zu.


319

er versuchte das leben zu bewältigen, indem er darauf verzichtete. das ist meine sache nicht. also stemme mir deine weißen waden in den bauch, dass ich mich krümme u. mit der fresse genau in deiner pflaume lande. oder heißt dieses handeln, auf das leben verzichten?


320

nachdem der mann vom land endlich gestorben war u. das gesetz unwiderbringlich geschlossen, ging der türhüter, auch nicht mehr ganz jung u. etwas steif in den knien vom jahrelangen stehen, nach hause. dort wartete niemand mehr auf ihn. seine frau hatte das ewige bitten, er möge sich einen anderen job suchen, satt gehabt. sie hatte ihn verlassen, hatte einige intensive jahre verlebt u. war dann gestorben. seine tochter lebte in amerika u. hatte irgendwann aufgehört, zu weihnachten eine postkarte zu schreiben. wie hatte der türhüter innerlich den mann vom land verflucht. andererseits hatte er durch ihn eine feste arbeit gehabt. nichts besonderes, aber sein auskommen war gewährleistet gewesen. der mann vom land hatte zum glück nicht viel geredet. reden war dem türhüter nicht geheuer. aus höflichkeit hatte er kraft seiner position als wächter, gewissermaßen also als eine art polizist, kleine verhöre durchgeführt. am schluss hatte er gar schreien müssen, dabei flüsterte er lieber. er vertrug das laute nicht. deshalb hatte er diesen job angenommen. aber jetzt saß er auf einem alten verstaubten sofa. die uhr schlug nicht mehr. das radio schon längst kaputt. der türhüter schenkte sich einen schnapps ein, überlegte kurz, nahm sich eine pistole, lief nach draußen, lief zurück zum gesetz u. schoss hinein. er hörte die anderen türhüter lachen. denn das gesetz kannst du nicht treffen. der türhüter, der keine arbeit mehr hatte u. kaum mehr ein leben, erschoss sich. das erfüllte die anderen türhüter mit respekt u. sie zogen ihn ins gesetz hinein. er wurde zukünftig unter den türhütern wie ein märtyrer u. heiliger verehrt. weshalb keiner mehr diesen weg gehen durfte. nicht jeder kann ein heiliger sein u. niemand darf wie ein heiliger werden, der nicht zum gesetz, ja zum heiligen gesetz wurde. die türhüter beteten ihn an. das gab ihnen beschäftigung. denn vom land kam schon lange keiner mehr. das gesetz war nur noch für seine wächter interessant.


321

als meine mutter an das gesetz kam, sah sie in dem riesigen torbogen die vielen figuren, figürchen, die reliefs, die vertiefungen, alkoven, nischen u. vorsprünge. meine mutter fragte sich, wer das denn alles sauber mache. da sie keine antwort bekam u. da sie gerade aus einem haus, in dem es ein dienstmädchen gegeben hatte, verjagt worden war, begann sie, damit sie eine aufgabe im leben habe, das tor zu putzen. sie wischte u. fegte u. polierte u. schabte. tagein, tagaus. u. fühlte sich sehr stolz, dass sie das tor zum gesetz sauber halten durfte. aber irgendwann schwanden ihr die kräfte. die arbeit wurde mühseliger. die vielen jahre vor dem gesetz hatten ihr ein unerbittliches gewissen eingepflanzt. sie dürfe die arbeit am gesetz nicht vernachlässigen. also zwang sie sich, weiter zu arbeiten. als es endgültig nicht mehr ging, wurde sie depressiv u. zog sich mit ihrem hass auf die, die das gesetz anwendeten u. dadurch verschmutzten, in gesetzlose gefilde zurück, d.h. in ein heim.


322

jeder gute satz ein beweis, dass du das leben gespürt hast: eine spur des lebens. schlechte sätze nehmen dir das leben. es ist, als stülpe man dir eine plastiktüte über den kopf. jede kritik an deinen sätzen ein zweifel, ob du gelebt hast; ob du das recht habest zu leben.


323

meine worte sind wie meine lippen: empfindlich, verschlossen oder zum kuss, zum pfiff, zum schrei, zum erstaunen, zum wort geöffnet.


324

so schreiben, dass die leserin dir im lesen das gesäß leckt. denn papier ist nichts anderes als dein gesäß, aus dem deine worte als geschenk an die welt heraus kommen. du bist als künstler das kind, das seinen kot verschenkt. stetig versucht die welt, dir windeln anzulegen u. dich zu entwöhnen.


325

um sein ich, sein selbst, aufzulösen, muss man erst einmal eins haben. u. dann wird man sehen, dass es gerade wegen seiner flüchtigkeit unauflöslich ist. du kriegst es nicht klein, solange du es versuchst. (du kriegst es allerdings auch nicht groß, solange du das versuchst.)


326

wäre es sisyphos gelungen, den stein auf den berg zu schaffen, wäre er arbeitslos geworden u. sein leben sinnlos. so hatte sisyphos’ leben einen sinn, einen diskursiven allemal.


327

einfache menschen. als ob’s das gäbe. der referentar spricht: ich will nicht viel. ich warte auf die frau, die passt. dann werden kinder gezeugt, eins nach dem anderen. einfache menschen lassen dich mehr kotzen, als du essen kannst. es sind: vergewaltiger des lebens. alles ist geplant u. du hast keine chance mehr.


328

diese feisten lachenden kerle. sicherlich, riesenbabies. unbedarft. sie wollen doch nur spielen. wie kinder altklug. sicherlich. jetzt nennen sie es prinzipien. die welt ist sortiert. sie wollen doch nur spaß haben. trinken. gute laune. aktion. die anderen sollen sich nicht so haben. die anderen. die unnormalen. du denkst, wenn es wieder so weit sein wird, werden diese riesenbabies wieder in den kzs arbeiten u. abends feiern u. dumme sprüche machen u. alles normal finden. normal finden, dass die, die angeblich den spaß verhindern, eliminiert werden. du konntest nicht zustimmen, als der wirt sagte, die seien doch lustig. du hattest ihre zwischenbemerkungen gehört. hier saß die banalität des bösen. u. du hast mit ihr bier getrunken.


329

wie kann unser beider vergangenheit ein fehler sein? sie war kein fehler. aber diese geschichte ist vergangen. das nicht wahrhaben zu wollen, das könnte der fehler sein. deshalb ist da noch wut u. noch nicht trauer. auch wenn es bereits sehr traurig ist.


330

vegetarier-sein heißt das mensch-sein verleugnen, egal wie hehr die leutchen sind. gerade dieses hehre ist umso verachtungswürdiger.


331

der wille, sich selbst zu funktionalen zwecken zu disziplinieren, sei es im körperlichen, sei es im seelischen bereich, ist bereits die krankheit selbst. der zweck heiligt hier mittel, die den einzelnen entschärfen, unterwerfen u. gefahrlos machen – für die noch größere gefahr. was sich als wille tarnt, macht dich willenlos. zurück bleibt ein ausgelaugter, ausgenutzter leichnam: ein toter lebender. sind lebende tote hässlich u. jeder form enthoben, sehen tote lebende blendend aus. wollen die einen, die zombies, nicht tot sein, wollen die anderen, die mustermenschen, nicht wirklich lebendig sein, selbst wenn sie nichts mehr als das leben anzubeten vorgeben. zombies huldigen auch dem tod.


332

erst wenn du wie selbstverständlich nackt – in bezug auf den körper u. in bezug auf die seele – über die bühne laufen kannst, wirst du ein bisschen freier sein.


333

ein zeichen dafür, dass du noch kein lehrer bist: du benimmst dich außerhalb der schule nicht pennälerhaft. du lässt in der schule nicht dein darüber entstandenes schlechtes gewissen aus. u. des weiteren flüchtest du dich, um dem dilemma zu entgehen, in obskurantismen, die jeher heimstätten für schizophrene boten: rationalisierungen, um sich den vorgängen, die in einem passieren, nicht stellen zu müssen. lehrer sind in der regel, d.h. wenn sie sich außerhalb der schule wie pennäler, in der schule wie das personifizierte gewissen benehmen (u. in jeder begebenheit, die der schulsituation ähnelt) sozial schizophren. oder: sozial zurückgebliebene.


334

das ist paulus nicht zu verzeihen, dass „wer der liebe nicht hat“ dazu missbraucht wird, gottgefällige von gottlosen zu scheiden. das lied ist bei ihm nicht anthropologisch (u. im anthropologischen sinn ist es das schönste lied, das es gibt), sondern diskriminierend im wahrsten sinne des wortes: es scheidet u. verurteilt. es hat kein mitgefühl. paulus hat in diesem lied der liebe nicht. aber was sagt das über die entstehungsbedingungen von schönen texten aus (die immer stückwerk bleiben)?



335

du spieltest an ihrem ohr, an ihrem ohrläppchen. hieltest es gegen das licht, das rosa durchschien, warst begeistert von der zartheit der haut u. der weiße hinter dem ohr. sie fragte spaßeshalber, ob sie denn sauber hinter den ohren sei, du lachtest u. sagtest: du sehest kein grün. aber da sahst du grind in einer hautfalte, nicht viel, aber die falte war angefüllt. diese entdeckung an dieser so außerordentlich sauberen person, machte dich sprachlos. du hörtest auf, an ihr zu spielen. sie hätte dir, hättest du es ihr gesagt, nie verziehen. deshalb konntest du ihr auch nicht näher kommen. auch nach jahren nicht. oder warst du das, liebste?


336

einer las. du schautest u. hörtest zu. u. doch hörtest du nicht, was er las u. sahst ihn nicht, wie er dort stand. wie auf einem bild, auf dem alles unscharf ist, nur ein gesicht nicht, sahst du ein gesicht. das auch zu dir her sah, bildetest du dir ein. sie trug einen schwarzen kurzen faltenrock, hautfarbene, durchsichtige strümpfe u. beige kniestrümpfe. schwere schuhe. du starrtest ihre kniee an, dann wieder ihr gesicht. von ferne rollten die worte des lesenden an dein ohr, in zeitlupe u. verschwommen bewegte sich der zuschauerrest.


337

du weißt, dass nur eine frau in frage kommt, die dich wirklich will. die dir nachläuft. weil sie dich will. so wie du bist. ein traum. dir läuft eine nach. aber wie ein verfolger. wie eine warnung. ein menetekel. sie flüstert permanent: du bist nicht richtig. du müsstest die wirklichkeit verleugnen.


338

dass der protestantismus schlimmer ist als islam u. strengster katholizismus zusammen. sein essentialistischer differentismus lässt sich an zynismus kaum überbieten. höchsten von seiner ständigen forderung: fröhlich zu sein. von den abgründen nichts wissen zu wollen. pfui teufel.


339

du strampelst an der oberfläche. schlägst schaum. die anderen beklagen sich. schwimm, rufen sie, du hast es doch gelernt. du möchtest untertauchen u. schwerelos die schwere des wassers fühlen, das dich umgibt; seine fülle in dir, die dir, wie du meinst, substanz gibt. doch immer wieder siehst du die, die wie selbstverständlich tauchen u. schwimmen u. schwimmen u. tauchen. die bewunderst du. u. du siehst die wenigen, die ebenfalls strampeln, siehst sie irgendwann absaufen, siehst die bläschen, den schaum, das gekräusel an der oberfläche, die sie hinterlassen haben u. denkst, auch das ist poesie. aber du hast wahnsinnige angst vor dem absaufen, deshalb erholst du dich, indem du toten mann machst u. dich mitziehen lässt. damit verspielst du aber deine liebe. dabei strampeltest du nur, um liebe zu kriegen, weil du weißt, die die schwimmen u. tauchen, sie werden geliebt. schließlich liebst du sie auch, obwohl du dich jedes mal, siehst du strampelnde, in sie verliebst.



340

sie nannte das, was er las, nett. zum glück hatte sie das über einen anderen gesagt. hätte sie es über seine sachen gesagt, hätte er beleidigt sein müssen. nett ist die blume in der vase bei kaffee u. kuchen. seine texte waren aber eher dem aussprechen von ungehörigkeiten an dieser tafel gleich. seine texte waren flecken wie spermaflecken auf dem hemd u. man hat noch einen termin u. kann sich nicht umziehen u. eine dame schaut interessiert, während ein paar herren lachen. seine texte brauchten das verlangen nach so etwas absonderlichem wie die wärme von urin, das am bein hinab läuft, während kalte schauder über den rücken fahren. seine texte waren wie angebote der ausgestreckten hand, nicht um artig guten tag zu sagen, sondern um sich in einem eck gegenseitig abzulecken.


341

dass er sie schon lange liebte, als er noch meinte, er habe alles dafür getan, dass genau dieses nicht passiere. denn sie hatte ihm gesagt, dass sie das nicht ertrage. genau wie er es nicht ertrug. noch nicht. wie er meinte. dabei war das, was er ertrug, wesentlich härter. so dass das andere, die liebe, würde er sie zulassen, wie erholung sein müsste. rational betrachtet. also gefühllos betrachtet. ohne liebe. ohne liebe ist die liebe also erträglich. aber da gähnte sie schon. oder schlug auf ihn ein. in seinem kopf. denn sie war gegangen. unglücklich. sie hatte auf ihn gewartet. denkt er sich in seinem größenwahn.



342

deine ausrede, wenn du dich verliebst: du seiest momentan nicht zumutbar, du habest dich noch nicht gelöst usw. so perpetuierst du das alte, das du loswerden willst u. vertreibst das neue, für das du dich durch diese aussage, nicht durch ihren inhalt, unzumutbar gemacht hast.


343

wer sich mit den problemen eines autors identifizieren möchte, der soll sich bei der ratgeberliteratur aufhalten, die bieten genügend identifikationsflächen feil. identifikation hat mit kunst nichts zu tun. kunst hat mit denken u. kongenialem schreiben, malen oder komponieren zu tun. u. denken heißt: welthaltig sein. kunst ist zu weit, um einzelnes sein zu können, das mein spiegel sein könnte. gute kunst widersetzt sich dem, ist für alle zugänglich, auch wenn nur die wenigsten zugang finden. eure praktischen ansätze – oder verfluchungen – könnt ihr euch in die haare schmieren. ihr verwechselt kunst mit werbung oder eben: mit der ratgeberliteratur, die behauptet, sie meine dich.


344

anspruch: die ausweitung blinder engstirnigkeiten, die dadurch nicht weiter, nur hohler werden. sie verdrängen lediglich den anderen, ohne ihn überhaupt kennen lernen zu wollen. es ist also eine ausweitung der eigenen idiotie. idiotie im wörtlichen sinn genommen. kurzum: anspruch ist idiotisch. u. zumeist sowieso nur ein abarbeiten der eigenen uneingestandenen fehler u. schwächen am anderen. er muss für das büßen, was man sich über sich selbst nicht eingestehen will.


345

anspruch: die negation des anderen.


346

der andere: nicht du; der kranke; der sterbende; der gefolterte; der der getötet werden soll; der tote; nicht du. der andere: der der angst macht. du sollst sein wie ich, oder besser, gesünder, glücklicher, ewiger oder du sollst nicht sein.


347

ich ist der andere. deshalb fürchtest du mich, selbst wenn du mich begehrst.

weißt du das in bezug auf mich?

bist du der andere? aber ich bin es doch schon.

mir schwindelt wegen dir.


348

auch ein maß für literatur: leben u. tod. enthält ein text mehr tod oder mehr leben? führen seine fluchtlinien ins kalt-perfekte oder ins heiß-verzehrende? vom ersten geht faszination, vom zweiten verlangen u. lust aus. ersterem kannst du dich kaum entziehen, zweites hilft dir, ersteres zu überwinden u. im leben zu bleiben – u. eine literatur der lust zu machen, nicht des todes.



349

ich rutsche da so durch, rutsche durch die phasen des lebens. doch ein moderner faust? habe, ach, eine doktorarbeit geschrieben, einen roman, hunderte von gedichten. doch nichts ist real. existiert das alles? niemand spricht mich darauf an. ich habe das gefühl, als ob alle so tun würden, als ob es diese dinge nicht gäbe. man geht stillschweigend darüber hinweg, als wolle man mich nicht in verlegenheit bringen; als wolle man sich selbst nicht in verlegenheit bringen: als wolle man niemanden kompromittieren.


350

unbändige lust zusammenzubrechen.


351

wie eins von diesen sich selbst steuernden spielzeugautos, die in eine ecke fahren u. keinen ausweg finden, nur noch vor u. zurück fahren u. immer wieder an die wand knallen.


352

zu wissen, dass alleine das begehren, das du der weißen wade der unbekannten entgegen bringst, die im rock am tisch sitzt, dir niemals entgegen gebracht werden wird. nicht zu wissen, ob das jetzt gut oder schlecht ist. oder weißt du es?


353

komm, setz dich hin, wir erzählen uns unser kaputtes leben. dann wird es lebendiger. vielleicht sind wir ja auch gar nicht so kaputt.


354

ich bekenne, ich habe nichts zu bekennen. nicht mal meine liebe zu dir. wer bekennt, hat der liebe nicht, u. wer der liebe hat, braucht sie nicht zu bekennen. u. dennoch. ich liebe dich. aber das darf man ja nicht sagen.


355

freund, du bist nicht stabil, du bist nur gepanzert. du hast deine verletztlichkeit als panzer umgelegt, damit niemand merke, wie alles schmerzt: u. so schmerzt alles umso mehr, doch du zeigst keine regung u. bist auch noch stolz auf deine potenzierte verlogenheit. ich hingegen panzerte mein inneres u. mein äußeres schreit bei jeder berührung. aber ich bin nicht stolz auf meine übertriebene wahrhaftigkeit. denn den echten schmerz spüre ich nicht mehr, obwohl er konsequenterweise da sein muss. so ist auch mein schreien nur ein falsches lächeln.


356

wichtig ist nicht, was einer sagt, wichtig ist, was einer tut. poetische sprache spricht nicht, sie tut etwas. was tut sie dir an?


357

when angels are so angry“ (richard III)


358

großmutter strich mir übers haar u steckte mir mit ihren arbeitsgegerbten fingern bitterschokolade in den mund. sie lächelte aus ihrem kopftuch heraus u. wollte nicht, dass ich traurig bin.


359

klar, ihr habt alles gezahlt. da darf man nichts sagen. seid für alles aufgekommen. da dürfen wir nicht meckern. zu essen gab es reichlich u. ich durfte machen, was ich wollte. da darf ich nicht mosern. aber wenn wir ehrlich sind, habt ihr uns bezahlt, damit wir die fresse halten. u. damit ihr nicht antworten müsst. ihr habt mich bezahlt, damit ich die fresse halte. was ich hiermit tue.


360

u. es wird sein, dass das stückwerk sich zusammenfügt, sich einigt in liebe u. zorn. u. so wird es durch die welt gehen, von ort zu ort, u. wird sich zu erkennen geben, weil es nun mal da ist. warum sonst? ihr könnt es annehmen oder ablehnen, aber ihr werdet es nie wieder zerlegen durch eure missachtung der inanspruchnahme.


361

echte extremität hat etwas mit abschwingen in die breite wirklichkeit zu tun. alles andere ist provinzieller romantizismus: emmabovarismus. u. emma bovari ist ohne einen flaubert nur eine dumme kuh, egal wie extrem sie glaubte zu sein. du hast behauptet, er, der extreme, sei zu extrem für mich, deshalb habe ich mich trennen müssen. ich sage: er ist nur ein provinzieller depp, der die eigene vergeigtheit nicht kapiert u. so tut, als klinge diese geige besonders tief. dabei ist es nur abgedroschenheit in: vergeigtheit. haltet das bitte nicht für große kunst. ein stück bitterschokolade geht viel weiter. so eins, wie meine großmutter sie mir mit vorliebe gab (allerdings auch nur mit vor-liebe, von jeher ein synonym für: bitterschokolade).


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noch bin ich fleisch, das ich zum markt trage. doch die geschäfte sind schlecht gelaufen u. ich fiel in depression u. trank besinnungslos. aber ich blieb fleisch, körperlos, seelenlos. sollte ich also aufhören, mein fleisch jedem anzubieten, damit ich einen körper bekomme u. leibhaftig werde? sag, würde ich damit nicht die letzten kunden vertreiben, die letzten interessenten? sollte ich es nicht wenigstens versuchen, auch auf die gefahr hin, des getriebigen, der amüsements verlustig zu gehen? wo könnte ich stattdessen hingehen? man hatte mich doch einst zum markt geschickt, damit ich mich feilbiete, damit ich erkenne, was ich wert sei. in den vielen jahren habe ich keinen begriff davon bekommen, nur das marktgeschrei bereichert. ich fühle mich ohne sprache u. doch des seit jahren zurückgehaltenen sprechens voll. wer hat verwendung für einen ehemaligen marktschreier seines fleisches, der unbehände beginnt, sich zu verkörpern? du vielleicht? aber ich schreie schon wieder. besser ich halte jetzt den mund.